Was für ein Grollen! Was für sagenhafte Wasservorhänge, in denen sich Sonne und Gischt zu Regenbögen vermischen! Wer in den Westen Simbabwes reist, hat zunächst nur eines im Sinn: die weltberühmten Victoria-Wasserfälle zu sehen. Jede Minute stürzen 550 Millionen Liter Wasser von Afrikas viertlängstem Fluss, dem Sambesi, bis zu 108 Meter tief in eine Schlucht. Eigentlich heißen die Fälle in der Sprache der Einheimischen „Mosi-oa-Tunya“, was bedeutet: „der Rauch, der donnert“. Als der schottische Missionar und Entdecker David Living-stone 1855 eintraf, nannte er das Naturwunder „Victoria Falls“, zu Ehren der britischen Königin Victoria (1819−1901).
Victoria Falls heißt auch der angrenzende Ort, wo sich Unterkünfte, Souvenirläden, Restaurants bündeln. Und plötzlich, etwas abseits hinter Mauern aus Backstein, öffnet sich ein erstaunlicher Winkel des Glaubens: die katholische Kirche „Our Lady of Peace“, „Unsere Liebe Frau des Friedens“. Ein architektonisches Schmuckstück ist der Bau sicher nicht. In den 1960er-Jahren errichtet, gleicht die Kirche in Seitenansicht eher einer Lagerhalle. Statt eines Turms erhebt sich separat ein Metallmast mit einer Glocke dran. Ein weißes Kreuz ziert die orange-rosafarbene Hauptfassade. Das Kircheninnere ist einschiffig, langgestreckt, pragmatisch. Naturlicht dringt durch Milchglasfenster, an der Decke reihen sich Neonleuchten auf. Doch die nüchterne Aura ändert sich schlagartig, sobald die lebhafte Gemeinschaft zu Gottesdiensten anrückt, sobald er auftaucht: Christopher Sibanda, der Pfarrer, „Father“, wie man hier sagt.
Father Christopher, 44, stammt aus Hwange, dem Sitz der Diözese, etwa hundert Kilometer entfernt. Er spricht fließend Englisch, ist ein hochgebildeter Mann mit zwei absolvierten Studien, Philosophie und Theologie. Seit drei Jahren leistet er in Victoria Falls ganze Arbeit – und das gleich doppelt. Im Ortszentrum kümmert er sich um die Pfarrei Our Lady of Peace, etwas außerhalb um die Gemeinde Saint Kizito – und damit um insgesamt 900 Gläubige. Er wohnt direkt neben der Kirche der Friedensjungfrau, braucht für die Mobilität ein Auto.
Victoria Falls ist seine dritte Station als Pfarrer, ordiniert wurde er 2009. Warum dieser Lebenspfad? Wegweisend, erinnert er sich, seien die Geistlichen gewesen, denen er „schon als Junge“ begegnete. „Der Glaube, den sie vermittelten, ihr Lebensstil – das berührte mein Herz“, so Father Christopher. Er verbrachte „viel Zeit“ mit ihnen, kannte „schon früh“ eine Vielzahl von Gebeten. Der Keim war gesetzt.
Die Gemeinden, die er in Victoria Falls betreut, bezeichnet er als „Schmelztiegel“, als „Miniwelt“. Hier seien Arm und Reich vertreten, unterschiedlichste Kulturen von Zugewanderten, Sprachen wie Shona und Süd-Ndebele. Neben der karitativen Arbeit sieht er als Hauptanliegen, weiter Gläubige zu gewinnen, in der besten Nachfolge Christi „Menschenfischer“ zu sein. Es sei essenziell, „aber nicht einfach“, Leute „davon zu überzeugen, zu glauben und auch am Gottesdienst teilzunehmen.“ Manche gehen irgendwann weg, so Father Christopher, und nennt die Pfingstbewegung als Glaubenskonkurrenz, „aber wenn sie zurückkommen, dann bin ich glücklich.“ Den Anteil der Katholiken in Simbabwe schätzt er auf zehn bis elf Prozent, es könne aber auch etwas mehr sein.
Basisarbeit leistet der Pfarrer in den Gemeinden und ebenso in einer Grundschule, die die Kirche in Victoria Falls begründet hat. Dort gibt er Jungen und Mädchen montags und mittwochs Religionsunterricht. Zusätzlich steht samstags eine Zusammenkunft an, bei der die Eltern dabei sind. Father Christopher ist überdies für die Jugendpastoral der Diözese zuständig und in Orte wie Lupane und Binga manchmal bis zu 300 Kilometer unterwegs. Bei seinem Wirken durchlebt er Höhen und Tiefen.
„Du kannst ein Jahr lang eine dynamische Gruppe haben, aber dann sind alle weg, und du musst neu beginnen. Junge Leute seien sehr unternehmungslustig, die wollen vieles ausprobieren.”
Der Höhepunkt der Woche in der Gemeinde „Our Lady of Peace“, auch für Father Christopher, ist die Sonntagsmesse. Während samstags abends der Zulauf bei der Messe eher dürftig ist, platzt das Gotteshaus am Morgen darauf um acht Uhr aus allen Nähten. Viele machen sich dafür richtig schick! Frauen haben dick Lippenstift aufgetragen, Haarmuster kunstvoll gerichtet, hautenge Kostümchen und High-Heels angelegt. Dagegen trägt Father Christopher Sandalen, was den gehobenen Temperaturen geschuldet ist. Manche Gläubige fahren in Pick-ups und Landcruisern auf den Kirchhof, andere kommen zu Fuß. Die meisten gehören zur Altersklasse der 20- bis 50-Jährigen. Einige Frauen sind mit Babytragetüchern vertreten. Es gibt kaum Ältere. In den Reihen riecht es nach Shampoo, einem Hauch von Parfüm. Auf dem Altar brennen ebenso Kerzen wie in der Ecke links hinter dem Eingang vor der Friedensjungfrau; die Marienskulptur trägt ein weißgoldenes Gewand, hat die Hände zum Gebet gefaltet.
In der Grundstruktur mag der Messfahrplan weltweit gleich sein – doch hier gehen Umsetzung, Rahmen und Atmosphäre für Ortsfremde mit Überraschungen einher. Ventilatoren wirbeln an der Decke und quirlen die Wärme. Man schwitzt. Einige Kinder haben Trinkflaschen dabei. Durch die geöffneten Fenster dringt Vogelgezwitscher, vermengt mit dem fernen Motorenlärm der Helikopterflüge über die Victoria-Wasserfälle. Und gleich beim ersten Lied befeuern Trommeln und Rasseln die Freude des Glaubens. Auf den Bänken schwingen die Anwesenden im Rhythmus mit – und es hat den Anschein, als müssten sich viele zurückhalten, um nicht gleich loszutanzen. Ein Beamer projiziert Lied- und Lesungstexte auf die Wand neben dem Altarraum. Bei der Predigt baut Father Christopher manchmal interaktive Elemente ein, fragt voller Verve ins Publikum, sorgt für Unruhe und Denkanstöße. Die Kollekte wird aufs Neue von Rassel- und Trommelklängen unterlegt. Ganz am Ende heißt es übers Mikrofon, auswärtige Gäste mögen sich erheben. Heute sind es zwei. Beide werden in der heiligen Halle mit Applaus bedacht! Eineinhalb Stunden hat die Messe gedauert. Draußen findet sich Father Christopher zu persönlichen Gesprächen ein – doch er muss bald los. Um zehn Uhr beginnt seine zweite Messe in Saint Kizito.
Was macht Father Christopher in seiner knapp bemessenen Freizeit? „Um zu relaxen, sehe ich fern“, gibt er unverblümt preis, „am liebsten Seifenopern aus Südafrika.“ Oder Actionfilme, solche wie mit Jackie Chan. Manchmal schaut er sogar Horrorstreifen. Dann wieder greift er zu „spiritueller Lektüre“, gerne von Teresa von Ávila oder Franz von Sales. Oder er betreibt „politische Studien“ zur Situation in seinem Heimatland. Natürlich zieht es ihn, wie die Touristen, auch an die Victoria-Wasserfälle.
„Die vielen Male, die ich dort gewesen bin, kann ich gar nicht zählen.”
Text und Fotos: Andreas Drouve