Viele Menschen hatten sich in den vergangenen Jahren kraftvoll für den Erhalt einer auch künftig bewohnbaren Erde engagiert. Sie führten aufrüttelnde Aktionen durch und konfrontierten die Gesellschaft mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Zeit. Auch Papst Franziskus hat sich mit seiner Enzyklika Laudato sì eindeutig für den Schutz der Schöpfung positioniert. Doch bei vielen sind die psychischen Kräfte zum Weiterkämpfen erschöpft. Gerade die, die am leidenschaftlichsten gekämpft hatten, sind am stärksten von Resignation bedroht. Sie konstatieren, dass die Menschheitsfamilie versagt habe oder dass es unmöglich sei, innerhalb des Systems grundlegende Fortschritte im Klimaschutz zu erwirken.
Natürlich haben wir die Bilder noch vor Augen, als sich die Delegierten der Klimakonferenz in Paris 2015 unter Tränen umarmten wegen der Einigung auf die gemeinsamen künftigen Ziele und Maßnahmen zum Klimaschutz. Auch bei den folgenden Klimaschutzkonferenzen gab es einige schöne Beschlüsse, die Hoffnung weckten. Und dennoch kam die Umsetzung in der Gesellschaft nicht richtig in Fahrt. Und viele Mächtige der Erde suchen das Heil mehr denn je in ungezügeltem Wirtschaftswachstum.
Was könnte uns allen weiterhelfen, denen der Klimaschutz wichtig ist? Um an der eigenen Ohnmacht psychisch nicht zu zerbrechen, braucht es neue Wege, mit der emotionalen Belastung der Klimaschutzarbeit umzugehen. Es braucht eine Transformation der inneren Haltung. Neben unserer christlichen Motivation, uns für den Erhalt der Umwelt einzusetzen, könnten wir auch von Viktor Frankl viel lernen. Der berühmte Neurologe und Psychiater aus Wien hatte bereits sein Ausreiseticket nach Amerika in der Tasche. Er sah voraus, was den Juden in Europa drohte. Am Abend vor dem Abflug war er noch mit seinem Vater zusammen, seine Eltern hatten nicht die Kraft zum Ausreisen. Das zeigte sich trotz aller inständigen Beschwörungen. Die Deportation stand unmittelbar bevor. An jenem Abend fiel der Blick Viktor Frankls zufällig auf die Bibelstelle „Du sollst Vater und Mutter ehren…“. In diesem Moment wusste er: Ich will und muss bei ihnen bleiben.
Am nächsten Morgen wurde Viktor Frankl mit seinen Eltern deportiert. Die Eltern wurden bei der Ankunft in Auschwitz sofort selektiert und vergast. Er überlebte – ohne zu zerbrechen.
Er konnte seine Eltern nicht vor dem Tod bewahren, doch er fand Sinn und Kraft in dem Entschluss, aus Liebe bei ihnen zu bleiben. Jahrelang hatte er zu der Frage geforscht, wie der Mensch psychisch und somatisch gesund leben kann. Gerade in Widrigkeiten und Leid wird ja die Kraft zum Weiterleben und Weiterkämpfen bedroht. Findet jedoch ein Mensch zum Sinn in seinem Leben, kann er auch dürre, schwere, erfolglose Zeiten durchstehen.
Frankl hatte seine Aufzeichnungen im Mantel eingenäht bei sich. Als sie ihm entrissen wurden, hatte er sie nur noch im Kopf. Zentrale Erkenntnisse, die er nach dem Krieg veröffentlichte, lauten: Sinn ist mehr als Erfolg. Findet ein Mensch dahin, sich für eine gute Sache oder einen Menschen oder einen Wert hinzugeben, dann ist er verbunden mit kraftvoller Lebensenergie von innen, die ihn führt. Es gehe nicht in erster Linie darum, auf diesem Weg selber glücklich zu werden. Geschehe dies, sei dies ein Nebenprodukt. Viktor Frankl hat überlebt und als Arzt und Therapeut lebenslang Menschen auf der Suche nach dem Sinn begleitet.
Für Klimaaktivisten könnte das bedeuten:
- Vertiefe, was du über dich selber weißt. Reinige deine Motive von Wut, Erfolgsdruck, Machtlust, Besserwisserei, Verachtung und wecke in dir die Liebe zu dir, zu allem Leben, zur Erde und den Menschen.
- Die emotionale Belastung aus erlebter Erfolglosigkeit ist leichter erträglich, wenn du für dich geklärt hast, dass deine Arbeit für das Klima trotzdem sinnvoll ist.
- Suche Verbindung zu Menschen, die offensichtlich froh und mit Kraft dem Klima dienen und sich darin nicht vom Erfolg abhängig machen.
- Sucht gemeinsam, den (stecken gebliebenen) Karren der Klimaschutzbewegung an einen „Stern“ zu binden (nach Leonardo da Vinci). Das heißt: Lasst euch spirituell anregen.
- Das Hauptgebot der Liebe des Christentums braucht eine vertiefte Auslegung. Martin Buber übersetzte es so: Liebe deinen Nächsten, er ist wie du. Unter Einbeziehung der Erkenntnisse der Neurobiologie und der Teilchenphysik könnte man heute das Hauptgebot der Liebe vielleicht so übersetzen: Liebe deinen Nächsten – Er ist du! Wir sind eins – auch mit Gott!
In diesem Bewusstsein finden wir vermutlich leichter zu neuer Kraft für den Klima- und Umweltschutz, der politische und technische Lösungsansätze übersteigt, einer globalen soialen und ökologischen Transformation dient und – in Erfolg und Misserfolg – von guter Kraft getragen bleibt.
Text: Michael Konrad Reis
(Unser Autor ist Religionspädagoge, Supervisor, Coach und Waldführer im Nationalpark Bayerischer Wald)
Buchtipp

Viktor E. Frankl:
… trotzdem Ja zum Leben sagen
Mit 35 Jahren kam der österreichische Psychiater Viktor E. Frankl in ein Konzentrationslager. In den Jahren der Gefangenschaft lernte er, wie Menschen mit unvorstellbarem Leid umgehen und wie es selbst an Orten größter Unmenschlichkeit möglich ist, einen Sinn im Leben zu sehen. Nach der Befreiung verfasste er in nur neun Tagen diesen bewegenden Erfahrungsbericht über seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern Theresienstadt, Auschwitz und Türkheim. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Buch zum Klassiker der Überlebensliteratur. In über fünfzig Sprachen übersetzt, bietet es eine faszinierende und auch heute noch tief bewegende Erkundung der menschlichen Willenskraft.
Kösel, 11 Euro, 192 Seiten