Das glauben wir

Gott ruft jeden auf andere Weise

Barbara Osdarty am 24.11.2020

Befragung von Priorin Helene Binder an die Kandidatin Benediktinerinnen der Anbetung
Fester Bestandteil einer Oblation ist eine Befragung der Kandidatin durch die Priorin. Priorin Helene Binder befragt die Kandidatin

Auf verschlungenen Wegen fand Silvia Schießl ihren Weg in die katholische Kirche – im Interview erzählt sie, was ihr Kirche und Glaube bedeuten und warum sie sich entschlossen hat, sich als Oblatin der Klostergemeinschaft in Neustift anzuschließen.

Sie ist eine Beru­fe­ne – eine Ordens­frau ist sie jedoch nicht: Sil­via Schießl, die sich seit Anfang Novem­ber Sil­via Richar­dis Schießl Obl. OSB nen­nen darf und die­sen Namen mit Stolz trägt, ist ver­hei­ra­tet, hat vier Kin­der, arbei­tet bei der Diö­ze­san­stel­le für Beru­fungs­pas­to­ral im Bischöf­li­chen Ordi­na­ri­at in Pas­sau und ist seit kur­zem Bene­dik­ti­ner­obla­tin. Wie es dazu kam und war­um sie sich ent­schie­den hat, ihren Glau­ben gera­de auf die­se – hier­zu­lan­de eher weni­ger bekann­te – Art zu leben, erzählt sie gern, denn als Obla­tin ver­steht sie es als ihre Auf­ga­be, ande­ren Men­schen zu zei­gen, dass es vie­le Wege zu Gott gibt.

Frau Schießl, bei Ihrer Obla­ti­on haben Sie Ihr Tauf­kleid getra­gen, denn Ihre Tau­fe ist noch gar nicht so lan­ge her. Wie kam es eigent­lich, dass Sie Teil der katho­li­schen Gemein­schaft gewor­den sind?

Sil­via Schießl: Als Kind wur­de ich im Glau­ben der Zeu­gen Jeho­vas sozia­li­siert. Wenn man jung ist, hin­ter­fragt man die Din­ge nicht – schon früh habe ich aber gespürt, dass mir der Glau­be wich­tig ist, vor allem die Bibel, aber dass ich bei den Zeu­gen Jeho­vas trotz­dem nicht an der rich­ti­gen Stel­le bin. So habe ich als Jugend­li­che – wie übri­gens vie­le ande­re auch – ange­fan­gen, eine Art Dop­pel­le­ben zu füh­ren: erst zur Gemein­de­ver­samm­lung, dann aber in die Dis­co. Doch es waren nicht nur die stren­gen Regeln, die mich abge­schreckt haben, son­dern vor allem, dass ich immer deut­li­cher das Gefühl hat­te, dass der Jesus, den ich in der Bibel ken­nen­ge­lernt habe, vie­les von dem, was die Zeu­gen Jeho­vas pre­di­gen, wohl kaum so leben wür­de. Da stimm­te ein­fach vie­les nicht zusammen.

Machen wir hier gleich ein­mal einen Sprung in die Gegen­wart: Heu­te sind Sie Katho­li­kin. Ist denn in der katho­li­schen Kir­che Ihrem Emp­fin­den nach alles anders?

Sil­via Schießl: Nein. Auch in der katho­li­schen Kir­che fin­de ich man­ches nicht zeit­ge­mäß und ich glau­be nicht, dass bei uns alles so läuft, wie Jesus es sich wün­schen wür­de. Aber es gibt einen ganz ent­schei­den­den Unter­schied: In der katho­li­schen Kir­che kann man über die­se Din­ge spre­chen. Es mag dem einen oder ande­ren nicht pas­sen, aber es ist mög­lich. Äußert man bei den Zeu­gen Jeho­vas Kri­tik, wird man prak­tisch unter Dau­er­be­ob­ach­tung gestellt. Stän­dig wir­ken ande­re auf einen ein, ver­su­chen, einem die eige­ne Mei­nung zu neh­men. Man wird ange­pran­gert, ange­fein­det, aus­ge­schlos­sen. Der Druck ist enorm. Mit der Lie­be Got­tes hat das für mich nichts zu tun. Es ist unmenschlich. 

Obwohl Sie das früh erkannt haben, war der Aus­stieg den­noch sehr schwer für Sie. Warum?

Sil­via Schießl: Das ist ein­fach zu beant­wor­ten. Als Zeu­ge Jeho­vas hat man prak­tisch kei­ne sozia­len Kon­tak­te außer­halb der Gemein­schaft. Willst du gehen, ver­lierst du alles. Dei­ne Fami­lie, dei­ne Freun­de. Nie­mand von ihnen wird mehr mit dir spre­chen, denn täten sie es, wür­den sie selbst auch zu Aus­ge­sto­ße­nen. Und immer wie­der erhältst du Besuch, immer wie­der ver­sucht man, dich zurück­zu­ho­len. Ich hat­te das Glück, eine Tan­te und einen Onkel zu haben, die kei­ne Zeu­gen sind. Die haben mich auf­ge­fan­gen. Aber wenn man nie­man­den hat, dann ist der Absprung fast unmög­lich. Auch ich bin noch ein­mal zurück­ge­kehrt, obwohl ich tief in mei­nem Her­zen wuss­te, dass es falsch ist.

War­um das?

Sil­via Schießl: Als ich gegan­gen bin, fühl­te ich mich unend­lich allein. Man muss sich das so vor­stel­len: Plötz­lich sind 20 Jah­re dei­nes Lebens wie aus­ge­löscht. Für die Men­schen, die dir wich­tig waren und von denen du geglaubt hast, dass auch du ihnen wich­tig bist, exis­tierst du nicht mehr. Doch auch alle Struk­tu­ren fal­len plötz­lich weg, die gewohn­ten Ritua­le, alles. Für mich war es vor allem schwer, dass mir der Glau­be ja nach wir vor sehr wich­tig war. Des­we­gen habe ich ver­sucht, mei­nen Glau­ben allein zu leben, doch mir fehl­te die Gemein­schaft so sehr. Denn allei­ne glau­ben kos­tet unend­lich viel Kraft, so war es jeden­falls bei mir. Ich den­ke, das ist der Grund, war­um ich noch ein­mal zurück­ge­gan­gen bin. Es war die Sehn­sucht, mit ande­ren gemein­sam zu beten und zu glau­ben, auch wenn ich letzt­lich wuss­te, dass die, zu denen ich gehe, die Fal­schen sind – doch eine ande­re Gemein­schaft kann­te ich nicht. 

Der Weg bis zur katho­li­schen Tau­fe war ein lan­ger, oder?

Sil­via Schießl: Ja. Ich habe mei­nen Mann ken­nen­ge­lernt – er ist katho­lisch getauft, war aber zu dem Zeit­punkt kein prak­ti­zie­ren­der Katho­lik. Mir war immer wich­tig, dass mei­ne Kin­der im Glau­ben auf­wach­sen, des­we­gen habe ich ihnen aus der Bibel vor­ge­le­sen. Sie soll­ten Gott ken­nen­ler­nen. Tau­fen las­sen haben wir die Kin­der aber zunächst nicht, sie soll­ten selbst entscheiden.

Drei der vier Kin­der haben sich vom katho­li­schen Glau­ben ange­zo­gen gefühlt. Einer mei­ner Söh­ne hat schon mit fünf Jah­ren den Wunsch geäu­ßert, sich tau­fen zu las­sen. Weil er noch so jung war, haben wir sei­ne Ent­schei­dung hin­ter­fragt, ihn aber unter­stützt. Dadurch kam ich immer wie­der in Situa­tio­nen, die mich auch selbst her­aus­ge­for­dert haben. Denn unser Pfar­rer hat schnell gespürt, dass ich für Glau­bens­the­men offen bin und mich des­we­gen immer wie­der im Diens­te der Pfar­rei ein­ge­spannt“. Als Tischmut­ter zum Bei­spiel, obwohl ich, bis ich aus­er­wählt“ wur­de, nicht ein­mal wuss­te, was das ist. So bin ich immer tie­fer in die Gemein­schaft hin­ein­ge­wach­sen, ohne aber for­mal der Kir­che anzugehören.

Oblation Fam. Schießl
Silvia Schießl trug bei der Oblation ihr Taufkleid

Das ging ja eini­ge Jah­re so. Wie kam es, dass Sie sich schließ­lich für die Tau­fe ent­schie­den haben?

Sil­via Schießl: Ich habe gemerkt, dass ich in der Pfarr­ge­mein­de offen auf­ge­nom­men wer­de, auch wenn ich Kri­tik äuße­re, ande­rer Mei­nung bin. Das hat mir gut­ge­tan. 2013 habe ich dann auch zum ers­ten Mal die Oster­nacht besucht – ein Moment, der mich unwahr­schein­lich berührt hat. Da wuchs in mir der Wunsch, mich tau­fen zu las­sen. Unser Pfar­rer hat sich dar­über sehr gefreut und wir haben ein inten­si­ves Katechu­me­nats­jahr mit­ein­an­der ver­bracht. Er hat mir spä­ter ein­mal gesagt, dass er noch mit kei­nem ande­ren erwach­se­nen Täuf­ling eine ähn­lich inten­si­ve Vor­be­rei­tungs­zeit erlebt hat. 

Zu Weihnachten eine Auszeit vom Alltag

Dadurch, dass Sie 2015 eine Stel­le im Bereich der Beru­fungs­pas­to­ral bekom­men haben, konn­ten Sie Glau­be und Arbeit ver­bin­den. Ist dabei auch der Wunsch ent­stan­den, den Glau­ben wei­ter zu vertiefen?

Sil­via Schießl: Für mich war auf ein­mal alles ganz stim­mig. Über die Arbeit bekam ich Kon­takt zu Ordens­leu­ten, auch zu den Bene­dik­ti­ne­rin­nen der Anbe­tung in Neu­stift. Mich fas­zi­nier­te das Ordens­le­ben, über das ich zu die­sem Zeit­punkt wenig wuss­te, sehr – aber als ver­hei­ra­te­te Mut­ter von vier Kin­dern ist ein Leben im Klos­ter natür­lich kei­ne Opti­on. Erst mit der Zeit habe ich her­aus­ge­fun­den, dass es den drit­ten Weg“ gibt, bei den Bene­dik­ti­ne­rin­nen heißt er Obla­ti­on. Man bin­det sich fest an eine Ordens­ge­mein­schaft, teilt deren Glau­bens­le­ben und prak­ti­ziert die Ordens­re­geln mit­ten im eige­nen All­tag. Ich konn­te mir das einer­seits nicht vor­stel­len, fühl­te mich aber ande­rer­seits gleich sehr angezogen.

Und von da an hat das The­ma Sie nicht mehr losgelassen?

Sil­via Schießl: Nein. Erst war mir das gar nicht so bewusst. Aber immer wie­der bin ich dar­auf gesto­ßen. Zum Bei­spiel auch, wenn ich etwas ganz ande­res im Inter­net gesucht habe. Am Ende lan­de­te ich häu­fig bei Sei­ten, die sich mit der Obla­ti­on befassen.

Der Weg zur Obla­ti­on ist aber doch ein auf­wän­di­ger, der auch nicht immer ganz ein­fach in den All­tag zu inte­grie­ren ist. Wie hat Ihre Fami­lie auf Ihren Wunsch reagiert?

Sil­via Schießl: Erst ein­mal: Mei­ne Fami­lie wuss­te letzt­lich vor mir, dass das mein Weg ist. Mein Sohn hat es aus­ge­spro­chen, noch bevor es mir wirk­lich bewusst war. Und mei­ne Fami­lie hat die­sen Weg vom ers­ten Moment an mit­ge­tra­gen, auch wenn das mit vie­len Her­aus­for­de­run­gen ver­bun­den war und blei­ben wird, denn die Zeit, die ich im Klos­ter ver­brin­ge, geht natür­lich im Fami­li­en­le­ben ab. Aber das war bei uns nie ein The­ma, alle haben mich unter­stützt. Dafür bin ich unend­lich dankbar.

Als Obla­tin sucht man sich ja eine kon­kre­te Gemein­schaft aus, an die man sich bin­det. War­um die Bene­dik­ti­ne­rin­nen der Anbe­tung in Neustift?

Sil­via Schießl: Beruf­lich hat­te ich bereits mit den Schwes­tern zu tun. Bei einem Vor­trag in Neu­stift über Hil­de­gard von Bin­gen lern­te ich dann Sr. Edith, die im Klos­ter Obla­ten­rek­to­rin ist, ken­nen. Ich wür­de sagen: Wir hat­ten schnell einen guten Draht zuein­an­der. Es kam dann noch zu einer wei­te­ren, zufäl­li­gen Begeg­nung und dar­aus ent­stand dann der Wunsch nach geist­li­cher Beglei­tung durch Sr. Edith. Dabei war die Obla­ti­on mehr­fach ein The­ma, aber noch eher all­ge­mein. Zu die­sem Zeit­punkt habe ich noch nicht ver­stan­den, dass Gott mich auf die­se Wei­se ruft. Ich konn­te das nicht glau­ben, hat­te eher das Gefühl: ich doch nicht‘ – und doch hat es mich gleich­zei­tig nicht mehr los­ge­las­sen. Heu­te den­ke ich, in die­ser Zeit hat mich der Hei­li­ge Geist geführt. 

Hat Ihre Ent­schei­dung über die orga­ni­sa­to­ri­schen Fra­gen hin­aus Aus­wir­kung auf die Fami­lie gehabt?

Sil­via Schießl: Ich glau­be, die Tat­sa­che, dass ich mich so viel mit Glau­bens­fra­gen beschäf­tigt und auch mit ihm dar­über gespro­chen habe, hat auch mei­nen Mann ein Stück näher zum Glau­ben gebracht. Er trägt mei­nen Weg mit, geht aber gleich­zei­tig sei­nen eige­nen. So hat er zum Bei­spiel die Exer­zi­ti­en für sich ent­deckt, die Begeis­te­rung für Lob­preis­mu­sik ver­bin­det uns beide. 

Man berei­tet sich ja etwa ein Jahr auf die Obla­ti­on vor. Was tut man in die­ser Zeit?

Sil­via Schießl: Man lernt die klös­ter­li­che Gemein­schaft ken­nen und erfährt viel über den Orden und sei­ne Regeln. Wenn man, wie ich, rela­tiv nahe bei dem Klos­ter, an das man sich bin­det, wohnt, besucht man die Schwes­tern, kommt für einen Nach­mit­tag, einen Abend oder auch ein Wochen­en­de. Man lernt, das Stun­den­ge­bet zu beten und bekommt Tipps, wie es sich in den All­tag inte­grie­ren lässt. Und man setzt sich sehr inten­siv mit der Regel des Hei­li­gen Bene­dikt aus­ein­an­der. Mich fas­zi­niert, wie all­tags­taug­lich sie ist. Für mich ist sie eine Erwei­te­rung von Jesu Gebot der Mensch­lich­keit. Sie ist eine Hil­fe für ein gutes Mit­ein­an­der. Im Kern geht es dar­um, sich auch mal zurück­zu­neh­men. Demut, das bedeu­tet nicht, sich klein machen, son­dern das heißt, zuhö­ren, auch wenn der ande­re nichts sagt – jeden­falls nicht mit dem Mund –, sich selbst nicht so wich­tig neh­men, auf den ande­ren ach­ten. Ich sel­ber kom­me öfter in Situa­tio­nen, wo ich sehr schnell sehr viel will. Und da mer­ke ich: Man­ches gin­ge viel­leicht bes­ser, wenn ich noch ein biss­chen mehr bene­dik­t­i­nisch‘ wäre. Ich reflek­tie­re mei­nen All­tag neu, wodurch sich vie­le Chan­cen eröff­nen, das Leben anders zu gestalten.

Durch die Obla­ti­on sind Sie ja auch Mit­glied der klös­ter­li­chen Gemein­schaft gewor­den. Ein ein­fa­cher Prozess?

Sil­via Schießl: Jein. Eini­ge Schwes­tern sind sehr offen, freu­en sich, dass sie durch uns Obla­tin­nen stär­ker mit der Welt in Kon­takt ste­hen. Aber man darf nicht ver­ges­sen: Die Bene­dik­ti­ne­rin­nen der Anbe­tung sind ein stark klau­sier­ter Orden. Und vie­le der Schwes­tern haben die­sen Weg aus einem bestimm­ten Grund gewählt. Ich fin­de es wich­tig, dass wir Obla­tin­nen – zumal wir ja noch eine sehr klei­ne Gemein­schaft sind – uns das immer wie­der bewusst machen und sen­si­bel damit umgehen.

Am 1. Novem­ber fand nun – nach coro­nabe­din­ger mehr­fa­cher Ver­schie­bung – Ihre Obla­ti­on statt. Hat­te die Pan­de­mie Aus­wir­kun­gen auf den Tag?

Sil­via Schießl: Ja, erheb­li­che. Die letz­ten Tage vor der Fei­er waren für mich wirk­lich stei­nig, das kann man so sagen. Eine gefühls­mä­ßi­ge Ach­ter­bahn­fahrt. Eigent­lich soll­te es ein gro­ßes Fest wer­den, mit allen Freun­den und Ver­wand­ten. Das war mein Wunsch. Und das ging dann ja nicht. Aber es ist schon selt­sam, wie der Herr uns führt und zum Wesent­li­chen hin­lei­tet. Denn wor­um geht es bei der Obla­ti­on? Um mei­ne Hin­ga­be. Nicht um das Drum­her­um. Nach einem gewis­sen Rin­gen ist mir genau das bewusst gewor­den. Mei­ne Fami­lie war dabei, mei­ne Freun­de in Gedan­ken mit mir ver­bun­den – da war plötz­lich nichts Nega­ti­ves mehr, son­dern ein tie­fer Frie­de. Es war der rich­ti­ge Rah­men für ein so wich­ti­ges Versprechen.

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