Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen“, sagt Jesus im Evangelium. Und er sagt es jedem von uns. „Neu geboren!“ Was bedeutet das?
Es ist ein Bildwort und sagt in jedem Fall, dass es um etwas Tiefgreifendes geht, um Existenzielles. Der Vorgang betrifft irgendwie den Grund meiner Seele. Und dann zweitens so, dass etwas in mir ganz neu wird. Ich gehe als neu Geborener anders durch die Welt. Ich sehe mich selbst und die anderen Menschen neu. Manchmal, wenn ein Mensch eine Krise oder eine schwere Krankheit überstanden hat, sagen wir ihm vielleicht: „Du wirkst wie neu geboren“. Oder wenn ein Mensch frisch verliebt ist oder wenn er arbeitslos war und dann einen neuen, guten Job gefunden hat, dann sagt er vielleicht: „Ich fühl mich wie neu geboren“.
Neu geboren bedeutet: Es ist wichtig, es ist existenziell, es verändert etwas in mir. Und Jesus bringt alles das nun mit dem Reich Gottes in Verbindung. „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Was ist das Reich Gottes? Es ist das Reich, in dem Gott herrscht. Er herrscht aber auf seine Art, er regiert als Liebe. Er ist der absolut Liebende und er ist der absolut Wahre, der Wahrhaftige. Das heißt: Im Reich Gottes sind alle unsere Beziehungen voller Liebe und voller Wahrhaftigkeit. Es gibt keine Lüge, keine Täuschung, keinen Neid mehr. Es gibt keinen Verrat, kein Benutztwerden vom anderen, keinen schlechten Ehrgeiz, keinen Wettbewerb. Es gibt keinen Egoismus mehr, keinen Ärger, keine Trauer, keine Ängste, keine Verletzungen. Es ist das Reich der heilen, wahren Beziehungen. Warum? Weil Gott in sich selbst so ist – und weil sich sein Reich dort entfaltet, wo er regieren darf, wo er anerkannt und geliebt wird als Gott, wo er angebetet, verherrlicht wird, dort, wo er der Herr sein darf. Dieses Reich verkündigt Jesus! Mehr noch: Er sagt, dass es mit ihm anbricht. Und eines der ersten Kennzeichen davon ist, dass er Gott seinen Vater nennt, mehr noch: Er nennt ihn in seiner Muttersprache „Abba“, ein Kosewort wie Papa. Und er weiß tief in seiner Seele: Er selbst kommt von seinem Vater. Er ist der Sohn, der einzige, wahre Sohn Gottes. Und seine Mission ist eben dies: Reich Gottes unter uns werden zu lassen. Und indem er Gott seinen Vater nennt, wird auch deutlich, dass dieses Reich der Liebe und der Wahrheit nicht einfach aus einzelnen Individuen besteht, sondern aus Verwandten. Sie sind eine Familie. Die, die ins Reich Gottes gehören, sind dort hineingeboren worden. Sie sind Familienmitglieder. Sie werden also als solche: neu geboren! „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht schauen!“
„Der Himmel zum Reich des Vaters geht auf. Und der Vater will, dass der Himmel schon hier beginnt. Und er beginnt, wenn wir an den glauben und uns von dem nähren, der will, dass wir aus seiner Gegenwart neu geboren werden. Er will, dass in unserem Inneren Ostern wird!”
Von hier sehen wir nun klarer, was Jesus meint: Für das Reich Gottes beruft er Menschen, die neu geboren werden, als neue Mitglieder der Gottesfamilie. Als Brüder und Schwestern Jesu, als Kinder des Vaters. Wie geht unser wichtigstes Gebet los, das er uns gelehrt hat? Genau: Vater Unser! Gott ist unser aller Vater, er will es sein. Er wartet auf uns, bis wir nach Hause kommen – wie der verlorene Sohn im Gleichnis. Aber wie kommt der nach Hause, was passiert ihm? Wie schafft er diesen Weg? Er lässt sich zunächst ausbezahlen, rennt weg vom Vater, verjubelt alles, kauft sich Beziehungen, verkauft am Ende sich selbst. Das ist kein Reich der Liebe und der Wahrheit, sondern Reich der Egozentrik, in dem Geld und Macht regieren – und in dem er keinerlei Solidarität erfährt, als das Geld weg ist. Er sitzt im Schweinestall und bekommt nicht mal das Futter dieser Tiere zu fressen. Er ist am absolut untersten Punkt – und erinnert sich jetzt, wer sein Vater ist. Er wird berührt an diesem tiefsten Punkt von einer verschütteten Erinnerung an die Güte des Vaters. Als er das spürt, bereut er sofort und weiß, dass er um Vergebung bitten muss. Und dann steht er auf. Das griechische Wort, das hier im Original steht, ist dasselbe Wort, das die Schrift benutzt für die Auferstehung Jesu: Anastasis! Er steht auf. Er läuft dem Vater entgegen, vielleicht läuft er auch vorbei an den Orten, wo er sein Geld verjubelt und verhurt hat, wie der ältere Bruder mutmaßen wird. Er bereut. Und der Vater läuft ihm entgegen, voller Jubel und Dankbarkeit. Sein Sohn war tot, wird er sagen – und lebt wieder. Er ist auferstanden. Wir können auch sagen: Er ist neu geboren. Er sieht die Welt jetzt anders. Er ist Familienmitglied, der mit dem Vater das große Fest feiert. So ist Gott! Er wartet auf jeden, der so nach Hause kommt. Er schenkt ihm die Neugeburt.
Aber durch wen schenkt er sie? Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Geschichte von dem erzählt wird, der der einzige wirkliche Sohn des Vaters ist? Der als einziger weiß, wie der Vater wirklich ist? Es ist der Sohn, der in die Fremde dieser verlorenen Welt gekommen ist. Und der auch in der Fremde dieser Welt, immer im Innersten zuhause war? Und der vor allem deswegen gekommen ist, damit wir nach Hause finden, damit wir neu sehen lernen, wie sehr der Vater uns liebt?
Aber wir ahnen, meine Lieben, wir ahnen, dass das Erzählen von Geschichten alleine nicht genügen wird. Die von Jesus erzählte Geschichte genügt nicht, unsere Herzen so umzuwandeln, dass sie die Herzen von Familienmitgliedern Gottes werden. Es genügt nicht für wirkliche Umkehr? Was genügt? Der einzige Sohn erzählt nicht nur schöne Geschichten vom Vater und vermehrt das Brot auf wundersame Weise. Der einzige Sohn stirbt für uns – er lässt zu, dass wir Menschen uns an seinem Kreuz mit all unserer Sünde und Gottesentfernung austoben dürfen, mit aller Bosheit, Lüge und allen dunklen Seiten unseres Herzens. Er nimmt alles auf sich. Er verschlingt es in seinem Herzen der Liebe, er lässt sich töten – und steht auf.
Auferstehung, Durchgang für uns. Die Tür ist wieder offen. Der Himmel zum Reich des Vaters geht auf. Und der Vater will, dass der Himmel schon hier beginnt. Und er beginnt, wenn wir an den glauben und uns von dem nähren, der will, dass wir aus seiner Gegenwart neu geboren werden. Er will, dass in unserem Inneren Ostern wird! Auferstehung, Neugeburt. Machen wir uns auf! Gehen wir nach Hause – mit Jesus dem Vater entgegen.
Dr. Stefan Oster SDB
Bischof