Alles stammt aus einem großen Ei, und unser ganzer Erdball ist ein großes Ei, das alle anderen enthält,“ war der französische Schriftsteller und Philosoph Voltaire (1694−1778) überzeugt. Auch die Inder sehen das Ei als Sinnbild des Weltganzen, wobei Erde und Himmel mit den beiden Hälften eines Eies verglichen werden.
Bis in unsere Tage hat das Ei vom Faszinosum seines bildhaften Symbolcharakters nichts eingebüßt. Neben Osterhasen als Gebildgebäck und aus Schokolade sind die bunten Ostereier nach wie vor das traditionellste und beliebteste Geschenk zum Osterfest. Die größte Freude am Schenkungsbrauch haben die Kinder über alle Generationen hinweg beim Ostereiersuchen.
Wenn man von der Farbensymbolik ausgeht, steht die ursprünglich weiße Farbe der Schale des Eis für Reinheit und Vollkommenheit. Doch niemand, dem der Osterbrauch etwas bedeutet, würde auf den Gedanken kommen, jemandem weiße Eier zu schenken. Bunt sollen Ostereier sein und will man der oder dem Verehrten oder zu Beschenkenden eine besondere Freude angedeihen lassen, dürfen diese schon mal auch kunsthandwerklich oder sogar kunstvoll bemalt oder mit besonderer Ornamentik verziert sein. Der Bandbreite der Motive sind dabei keine Grenzen gesetzt. Die über 5000 Exponate zählende Dauerausstellung „Weltreise rund ums Ei“ im Museum der mittelfränkischen Stadt Schwabach kann man sich eindrucksvoll davon überzeugen. Die größten Eier, die jemals auf Erden gelegt wurden, wiegen über zehn Kilo und stammen vom ausgestorbenen Madagaskar-Strauß. Auch davon kann das Schwabacher Spezialmuseum ein Exemplar präsentieren.
Wir widmen unsere Aufmerksamkeit unseren Ostereiern. Sie haben bereits eine über zweitausendjährige Geschichte. Vor mehr als dreihundert Jahren begann man, sie kunst- und phantasievoll zu bemalen oder mit symbolträchtigen Ornamenten zu verzieren. Prinzessin Charlotte von der Pfalz ließ die ersten künstlichen Eier herstellen. Heutzutage werden Ostereier in allen möglichen Materialien angeboten. Im Bayerischen Wald zählen vor allem künstlerisch gefertigte Glaseier – wie sie beispielsweise der Volkskundeforscher Prof. Dr. Reinhard Haller gesammelt hat – zu den besonderen Kostbarkeiten in diesem Metier. Eine beachtenswerte Sammlung zeigt das Museum im „Fressenden Haus“ (Siegfried von Vegesacks Burgturm) in Weißenstein bei Regen. Geschnürlte mit bunten Glasfäden sind ebenso darunter wie Eier aus Farbglas oder in Überfangtechnik, mit Handbemalung, Gravur oder Schliff. Vor den Osterfeiertagen werden in unserem Breitengrad auch Eier aus schönmaserigem Holz – beispielsweise vom Holzkunsthandwerker und Drechsler Svatopluk (Sam) Vokurka in Volary (Wallern) im benachbarten Böhmerwald – oder – wie etwa im Granitzentrum Hauzenberg – aus poliertem Granit angeboten.
Natürlich gibt es im Handel auch Ostereierschmuck aus Porzellan, Alabaster, Blech (als Behältnisse), Pappmaché oder Kunststoff, wobei auch dem Kitsch keine Schranken gesetzt sind.
Im Bayerischen Wald und insbesondere im Böhmerwald haben vor allem die gefärbten und gekratzten („Scheckl“) Eier Tradition. Rosa Tahedl berichtet in ihrem Buch „Jahresringe um ein Dorf im Böhmerwald“ von dieser in ihrer alten Böhmerwaldheimat gepflegten Volkskunst. Wollte man besonders schöne, gekratzte „Scheckl“ haben, musste man diese rechtzeitig bei Könnern dieser Volkskunst bestellen.
Luise Schauberger (†) in Passau-Innstadt, die aus der Hausstadlermühle bei Mitterfirmiansreut, unmittelbar an der böhmischen Grenze, stammte, beherrschte diese Art des Eierkratzens in Perfektion und erfüllte auch individuelle Wünsche. Beispielsweise, wenn es um einen besonderen Spruch auf einem rot gefärbten und reich verzierten Ei, das für das „Osterpinkei“ (Ostergeschenk im Moldaugebiet des südlichen Böhmerwaldes) für den Liebsten bestimmt war, ging. Dieser holte sich in der Osternacht sein Ostergeschenk am Kammerfenster ab.
Der bedeutende Volkskundler und Heimatforscher aus Neuern im Böhmerwald Josef Blau widmet in seinem 1918 in Prag verlegten Buch „Böhmerwäldler Hausindustrie und Volkskunst (Band II)“ dem „Färben, Bemalen und Kratzen der Ostereier“ ein eigenes Kapitel. Er stellt dabei im Bildteil beispielhaft die typischsten Ziermuster von geritzten Eiern aus Mugrau, von gekratzten Ostereiern aus Winterberg sowie gekratzte, mit Wachs bemalte oder gefärbte Eier aus dem Chodengau vor. Dazu überliefert der Heimatkundler auf acht Seiten originelle Eierreime. Diese beziehen sich entweder direkt auf das Osterfest, enthalten persönliche Widmungen oder Lebensweisheiten, sollen Glück- und Segenswünsche überbringen, freundschaftliche Bande festigen oder Treue- bzw. Liebesschwüre entbieten. Auch Scherzreime fehlen nicht. Dieser zweifellos schöne Brauch ist heute im Zeitalter der Nachrichtenübermittlung per SMS leider völlig abgekommen. Kaum einer nimmt sich in unserem Lebensstil, der von Schnelllebigkeit dominiert wird, noch die Zeit für eine solche, sehr individuelle Aufmerksamkeit.
Sieht man von Ausnahme-Erscheinungen wie beispielsweise des italienischen Designers Roberto Spadoni mit seinen kunstvollen Kritzeleiern, die als Sammelobjekte sehr geschätzt werden, einmal ab.
Das Osterei in seiner variantenreichen Gestaltung erfreut sich nach wie vor als Geschenk großer Beliebtheit. In vielen Schöpfungsmythen ist es Symbol des Lebens. Das Ei verkörpert den Ursprung der Welt, der Götter und der Menschen. Ihm als Wahrer der Lebenskraft wurde die Gabe zugeschrieben, Wachstum und Fruchtbarkeit zu steigern.
Im Ei sah man einst einen wichtigen Bestandteil bei Liebeszauber-Rezepten. Es war eine bevorzugte Liebesgabe zwischen Mann und Frau. Schließlich fanden Eier auch als für die Reise ins Jenseits stärkende Speise als Grabbeigaben Verwendung. Im Christentum ist das Ei Symbol der Auferstehung. Die Schale versinnbildlicht das Grab, aus dem ein lebendiges Wesen hervorgeht.
Obwohl das Brauchtum allgemein zunehmend verarmt, wird die Tradition des Eierschenkens nach wie vor hochgehalten. Es ist erfreulicherweise sogar eine Renaissance festzustellen, insbesondere was den Eierschmuck und das Eiersammeln anbetrifft, woran einstmals sogar Kurt Tucholsky offensichtlich Spaß hatte: „Ei ist Ei, sagte er und nahm sich das größte!“
Text und Fotos: Karl-Heinz Paulus