Soziales

Papa hat alles im Griff, oder?

Wolfgang Krinninger am 09.10.2019

Alles_im_Griff

Eine kurze Geschichte vom Loslassen lernen.

Nein, Du tust das jetzt nicht, sagt die Ver­nunft. Doch das Eltern-in-Panik-Gen hat längst anders ent­schie­den. Ich grei­fe zum Tele­fon und rufe an: Magst Du bit­te noch­mal schau­en, ob die Haus­tür zu ist, ich bin mir nicht sicher, sage ich zu mei­ner gro­ßen Toch­ter. Anto­nia lacht nur und sagt: Ja, mach ich, Papa!

Zuvor hat­te ich ihr bei eini­gen Hand­grif­fen gehol­fen, an denen man nicht vor­bei­kommt, wenn man in die ers­te eige­ne Woh­nung ein­zieht: Bett zusam­men­schrau­ben, Möbel auf­stel­len und so. Klei­nig­kei­ten, bei denen Papa zei­gen kann, dass er alles im Griff hat und den Aus­zug mit Herz und Hand unter­stützt. Dann noch ein Espres­so aus der neu­en Kaf­fee­ma­schi­ne am neu­en Tisch in der neu­en Woh­nung im neu­en Leben. Noch eine Umar­mung und Abschied. 

Ich las­se sie zurück. Allein. Das ist groß­ar­tig. Ein Rie­sen­schritt. Dafür haben mei­ne Frau und ich uns rein­ge­hängt, haben gelobt und geta­delt, geschimpft und getät­schelt, getrös­tet und geflucht. Dafür haben wir Fie­ber gekühlt, Mär­chen erzählt, Chauf­feur gespielt, Sand­bur­gen gebaut und Haus­auf­ga­ben kon­trol­liert. Damit die Kin­der irgend­wann die Flü­gel span­nen und abhe­ben, frei und stark, mit wei­tem Herz und offe­nen Sinnen. 

Wenn es soweit ist, müs­sen auch wir Eltern wie­der ein Stück rei­fer, tap­fe­rer, muti­ger wer­den. Das war wohl immer so und wird auch immer so blei­ben. Ich erin­ne­re mich noch gut an mei­nen ers­ten Aus­zug von daheim. Ein Nach­bar, der mit Fut­ter­mit­teln han­del­te, nahm mich mit Bett und Stuhl und Tisch in sei­nem Trans­por­ter mit. Die paar Möbel hat­ten locker Platz zwi­schen Käl­ber­star­ter, Salz­leck­scha­len und Kraft­fut­ter­sä­cken. Mei­ne klei­ne, reso­lu­te Mama ver­schwand win­kend im Rück­spie­gel. Und wie ich damals ahn­te und spä­ter erfuhr, erging es ihr wie fast allen Müt­tern und man­chen Vätern: Als das Auto außer Sicht­wei­te war, wisch­te die zuvor noch fröh­lich win­ken­de Hand Trä­nen aus dem Gesicht. Das drit­te Kind war aus­ge­zo­gen. Mit ihm sein Lachen, sei­ne Jugend, sein Mut, sei­ne Zuver­sicht, so scheint es im ers­ten Augenblick.

Bevor ich mich ver­ab­schie­de, über­ge­be ich mei­ner gro­ßen Toch­ter noch ein klei­nes, fla­ches Päck­chen. Viel­leicht lässt sie das klei­ne Geschenk manch­mal inne­hal­ten, viel­leicht schenkt es ihr Hoff­nung, wenn es nötig ist, viel­leicht erin­nert es sie dar­an, was das Mensch­sein aus­macht. Womög­lich habe ich mich damit aber am meis­ten selbst beschenkt. Als ich das klei­ne glä­ser­ne Kru­zi­fix im Dom­la­den sah, husch­te ein Lächeln über mein Gesicht und das Panik-Gen war ver­stummt. Zumin­dest für die­sen Augenblick.

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