Bei einer Pontifikalandacht im Passauer Stephansdom betete Bischof Stefan Oster gemeinsam mit dem Betroffenenbeirat für die Opfer von sexualisiertem, körperlichem und spirituellem Missbrauch durch Vertreterinnen und Vertreter der Kirche. Zahlreiche Gläubige waren gekommen, um sich in der Andacht und dem anschließenden Podiumsgespräch dem Thema auszusetzen.
Das Bild eines lächelnden Neunjährigen war auf der Broschüre zu sehen, die jeder Anwesende während der Pontifikalandacht in den Händen hielt. Es zeigt einen Jungen, der in seiner frühen Jugend über mehrere Jahre schwer sexuell misshandelt und missbraucht worden war. Zu Beginn der Andacht wurden alle Anwesenden eingeladen, den Text neben dem Bild in Stille zu lesen, bis Rolf Fahnenbruck, Sprecher des Betroffenenbeirats im Bistums Passau, die Stille beendete: „Der Junge, dessen Bild Sie betrachten und aus dessen Leben Sie gelesen haben, bin ich: Rolf Fahnenbruck. Ich bin so, wie ich bin.“
Bischof Stefan Oster verwies in seiner Eröffnung auf die Worte, unter welche die Andacht gestellt war: Effata, öffne Dich. Diese Worte habe Jesus zu einem Taubstummen gesagt, der noch nicht sprechen konnte. „Auch viele Betroffene von Missbrauch in der Kirche können noch nicht sprechen. Daher ist es um so wichtiger, Betroffenen zuzuhören und sie in die Mitte zu stellen.“ Nicht viele seien dazu bereit, es öffentlich zu tun. Daher dankte der Bischof dem Sprecher des Betroffenenbeirats für seine Bereitschaft, öffentlich über seine Erlebnisse und Erfahrungen zu sprechen. So helfe er den Anwesenden, sich dem Thema auszusetzen und sich gemeinsam damit auseinanderzusetzen.
„Zuhören und sich Öffnen sind zwei der wichtigsten Aufgaben, die uns in unserem Leben begleiten. Betroffene von sexuellem Missbrauch haben genau das Gegenteil in ihrem Leben erlebt.”
In seiner Hinführung betonte Rolf Fahnenbruck, dass Effata („Öffne Dich“) ein dringender Appell an die Kirche sei, sich für das Leid und das Elend der von sexualisierter Gewalt Betroffenen zu öffnen. Nur so könne verstanden werden, was der Missbrauch im Leben der Betroffenen angerichtet habe. Daher solle man alles daransetzen, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen und die Opfer zu unterstützen. „Es bedeutet aber auch, sich zu öffnen, um Betroffenen zu zeigen, dass sie willkommen sind, dass sie in dieser Kirche in Jesu Namen geliebt und geachtet werden – wie alle anderen Menschen auch, selbst dann, wenn sie noch Hass, Wut und Zorn und Verzweiflung in sich tragen. Jedes Sich-Öffnen hat in diesem Kontext immer auch eine andere Seite“, so Fahnenbruck. „Zuhören und sich Öffnen sind zwei der wichtigsten Aufgaben, die uns in unserem Leben begleiten. Betroffene von sexuellem Missbrauch haben genau das Gegenteil in ihrem Leben erlebt.“ Daher sei es ein guter Anfang zu einem Weg des Versöhnens und Verzeihens, wenn sich Betroffene und Repräsentanten der Kirche treffen, miteinander sprechen und sich zuhören.
Die Predigt von Bischof Stefan Oster bei der Pontifikalandacht zum Nachlesen
„Offenheit, sich öffnen, ist eine Herzensangelegenheit“, sagte Bischof Stefan in der Predigt. Ein kleines Kind sei von Natur aus offen, da es im Normalfall den ersten Halt in der Welt am offenen Herzen der Mutter finde. Eine solche „Herzensoffenheit“ führe jedoch auch zu Verletzungen, denn „wer wirklich herzensoffen ist, ist verletzbar – daher ist es nicht ohne Vertrauen möglich“. Der Bischof betonte weiter: „Gerade bei Kindern und jungen Menschen gibt es eine selbstverständliche Art, sich anderen anzuvertrauen, vor allem Erwachsenen.“ Daher sei die Verwundbarkeit durch Verrat, Lüge, Mangel an Verlässlichkeit, Manipulation und Missbrauch durch physische, psychische oder sexuelle Gewalt um so größer. „Menschen jeden Alters, vor allem aber Kinder und Jugendliche, büßen ihre Fähigkeit zur Offenheit und zum Vertrauen dramatisch ein und werden nicht selten in sich selbst eingeschlossen. Viele haben einen langen, oft lebenslangen Weg zurück zur neuen Offenheit – d. h. zur Fähigkeit, sich selbst und der Welt zu vertrauen.“ Daher stellten sich Betroffene auch die Frage, ob sie der Kirche noch vertrauen können und sie heute auch ein heilsamer Ort sein könne. Dabei handle es sich nicht alleine um Amtsträger und Verantwortliche, sondern oft auch um das kirchliche Milieu, das Missbrauch begünstigte durch Mitwissertum und bewusstes Wegsehen.
Bei der anschließenden lebhaften Podiumsdiskussion griffen Bischof Stefan Oster und Rolf Fahnenbruck das Thema der Predigt wieder auf. „Aktuell gehen wir davon aus, dass knapp fünf Prozent der Fälle in den Kirchen und rund 95 Prozent in der Gesellschaft geschehe, d.h. in den Familien, den Sportvereinen usw. Missbrauch ist also breit in der Gesellschaft verankert und ein gesamtgesellschaftliches Thema.“ Um so wichtiger sei es, einen guten Weg zu gehen, denn laut Fahnenbruck gibt es Wege der Vergebung und Versöhnung. Auch Bischof Oster bekräftigte, dass die Sprachlosigkeit auf beiden Seiten noch groß ist, doch die Kirche alles daran setze, diese Sprachlosigkeit zu überwinden. Am Ende appellierte Fahnenbruck, die Kirche nicht zu verlassen, denn: „Wir können das Problem in der Kirche nur lösen, wenn es engagierte Menschen in der Kirche gibt, die helfen, das System zu verändern.
Susanne Schmidt
Bischöfliche Pressesprecherin
Warum Prävention so wichtig ist?
Sicheren Schutzraum durch Information schaffen
Bettina Sturm, die Präventionsbeauftragte im Bistum Passau, betont die Wichtigkeit von Prävention: „Das vorhandene Rüst-zeug, sich selbst zu schützen, reicht bei Kindern, Jugendlichen und schutz- oder hilfebedürftige Menschen allein nicht aus, da Täterstrategien perfide sind, indem beispielsweise Vertrauen und Machtposition ausgenutzt werden. Deshalb braucht es Erwachsene, die mit einbezogen werden, um einen sicheren Schutzraum für diese Anvertrauten zu schaffen. Unsere Präventionsarbeit im Bistum trägt dazu bei, dass Sprechräume für Austausch und Reflexion eröffnet werden. Wir vermitteln Handlungssicherheit in diesem Themenfeld und befähigen, das Richtige im Umgang mit Betroffenen zu tun. Wir wollen durch die Präventionsarbeit auch Betroffenen signalisieren, dass wir ansprechbar sind, zuhören und aushalten können und gemeinsam die notwendigen Schritte gehen.“