Bistum

Sprachlosigkeit überwinden

Redaktion am 22.11.2022

2022 11 22 pb alb podiumsgespraech missbrauch Foto: Susanne Schmidt
Einen Weg der Versöhnung finden: Dafür machten sich Bischof Stefan Oster und Rolf Fahnenbruck im engagierten Podiumsgespräch stark. Moderiert wurde es von Florian Weber (r.).

Bei einer Pontifikalandacht im Passauer Stephansdom betete Bischof Stefan Oster gemeinsam mit dem Betroffenenbeirat für die Opfer von sexualisiertem, körperlichem und spirituellem Missbrauch durch Vertreterinnen und Vertreter der Kirche. Zahlreiche Gläubige waren gekommen, um sich in der Andacht und dem anschließenden Podiumsgespräch dem Thema auszusetzen.

Das Bild eines lächeln­den Neun­jäh­ri­gen war auf der Bro­schü­re zu sehen, die jeder Anwe­sen­de wäh­rend der Pon­ti­fi­ka­lan­dacht in den Hän­den hielt. Es zeigt einen Jun­gen, der in sei­ner frü­hen Jugend über meh­re­re Jah­re schwer sexu­ell miss­han­delt und miss­braucht wor­den war. Zu Beginn der Andacht wur­den alle Anwe­sen­den ein­ge­la­den, den Text neben dem Bild in Stil­le zu lesen, bis Rolf Fah­nen­bruck, Spre­cher des Betrof­fe­nen­bei­rats im Bis­tums Pas­sau, die Stil­le been­de­te: Der Jun­ge, des­sen Bild Sie betrach­ten und aus des­sen Leben Sie gele­sen haben, bin ich: Rolf Fah­nen­bruck. Ich bin so, wie ich bin.“

Bischof Ste­fan Oster ver­wies in sei­ner Eröff­nung auf die Wor­te, unter wel­che die Andacht gestellt war: Effata, öff­ne Dich. Die­se Wor­te habe Jesus zu einem Taub­stum­men gesagt, der noch nicht spre­chen konn­te. Auch vie­le Betrof­fe­ne von Miss­brauch in der Kir­che kön­nen noch nicht spre­chen. Daher ist es um so wich­ti­ger, Betrof­fe­nen zuzu­hö­ren und sie in die Mit­te zu stel­len.“ Nicht vie­le sei­en dazu bereit, es öffent­lich zu tun. Daher dank­te der Bischof dem Spre­cher des Betrof­fe­nen­bei­rats für sei­ne Bereit­schaft, öffent­lich über sei­ne Erleb­nis­se und Erfah­run­gen zu spre­chen. So hel­fe er den Anwe­sen­den, sich dem The­ma aus­zu­set­zen und sich gemein­sam damit auseinanderzusetzen. 

Zuhö­ren und sich Öff­nen sind zwei der wich­tigs­ten Auf­ga­ben, die uns in unse­rem Leben beglei­ten. Betrof­fe­ne von sexu­el­lem Miss­brauch haben genau das Gegen­teil in ihrem Leben erlebt.”

Rolf Fahnenbruck

In sei­ner Hin­füh­rung beton­te Rolf Fah­nen­bruck, dass Effata („Öff­ne Dich“) ein drin­gen­der Appell an die Kir­che sei, sich für das Leid und das Elend der von sexua­li­sier­ter Gewalt Betrof­fe­nen zu öff­nen. Nur so kön­ne ver­stan­den wer­den, was der Miss­brauch im Leben der Betrof­fe­nen ange­rich­tet habe. Daher sol­le man alles dar­an­set­zen, den ange­rich­te­ten Scha­den wie­der gut zu machen und die Opfer zu unter­stüt­zen. Es bedeu­tet aber auch, sich zu öff­nen, um Betrof­fe­nen zu zei­gen, dass sie will­kom­men sind, dass sie in die­ser Kir­che in Jesu Namen geliebt und geach­tet wer­den – wie alle ande­ren Men­schen auch, selbst dann, wenn sie noch Hass, Wut und Zorn und Ver­zweif­lung in sich tra­gen. Jedes Sich-Öff­nen hat in die­sem Kon­text immer auch eine ande­re Sei­te“, so Fah­nen­bruck. Zuhö­ren und sich Öff­nen sind zwei der wich­tigs­ten Auf­ga­ben, die uns in unse­rem Leben beglei­ten. Betrof­fe­ne von sexu­el­lem Miss­brauch haben genau das Gegen­teil in ihrem Leben erlebt.“ Daher sei es ein guter Anfang zu einem Weg des Ver­söh­nens und Ver­zei­hens, wenn sich Betrof­fe­ne und Reprä­sen­tan­ten der Kir­che tref­fen, mit­ein­an­der spre­chen und sich zuhören.

Die Predigt von Bischof Stefan Oster bei der Pontifikalandacht zum Nachlesen

Offen­heit, sich öff­nen, ist eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit“, sag­te Bischof Ste­fan in der Pre­digt. Ein klei­nes Kind sei von Natur aus offen, da es im Nor­mal­fall den ers­ten Halt in der Welt am offe­nen Her­zen der Mut­ter fin­de. Eine sol­che Her­zens­of­fen­heit“ füh­re jedoch auch zu Ver­let­zun­gen, denn wer wirk­lich her­zens­of­fen ist, ist ver­letz­bar – daher ist es nicht ohne Ver­trau­en mög­lich“. Der Bischof beton­te wei­ter: Gera­de bei Kin­dern und jun­gen Men­schen gibt es eine selbst­ver­ständ­li­che Art, sich ande­ren anzu­ver­trau­en, vor allem Erwach­se­nen.“ Daher sei die Ver­wund­bar­keit durch Ver­rat, Lüge, Man­gel an Ver­läss­lich­keit, Mani­pu­la­ti­on und Miss­brauch durch phy­si­sche, psy­chi­sche oder sexu­el­le Gewalt um so grö­ßer. Men­schen jeden Alters, vor allem aber Kin­der und Jugend­li­che, büßen ihre Fähig­keit zur Offen­heit und zum Ver­trau­en dra­ma­tisch ein und wer­den nicht sel­ten in sich selbst ein­ge­schlos­sen. Vie­le haben einen lan­gen, oft lebens­lan­gen Weg zurück zur neu­en Offen­heit – d. h. zur Fähig­keit, sich selbst und der Welt zu ver­trau­en.“ Daher stell­ten sich Betrof­fe­ne auch die Fra­ge, ob sie der Kir­che noch ver­trau­en kön­nen und sie heu­te auch ein heil­sa­mer Ort sein kön­ne. Dabei hand­le es sich nicht allei­ne um Amts­trä­ger und Ver­ant­wort­li­che, son­dern oft auch um das kirch­li­che Milieu, das Miss­brauch begüns­tig­te durch Mit­wis­ser­tum und bewuss­tes Wegsehen. 

Bei der anschlie­ßen­den leb­haf­ten Podi­ums­dis­kus­si­on grif­fen Bischof Ste­fan Oster und Rolf Fah­nen­bruck das The­ma der Pre­digt wie­der auf. Aktu­ell gehen wir davon aus, dass knapp fünf Pro­zent der Fäl­le in den Kir­chen und rund 95 Pro­zent in der Gesell­schaft gesche­he, d.h. in den Fami­li­en, den Sport­ver­ei­nen usw. Miss­brauch ist also breit in der Gesell­schaft ver­an­kert und ein gesamt­ge­sell­schaft­li­ches The­ma.“ Um so wich­ti­ger sei es, einen guten Weg zu gehen, denn laut Fah­nen­bruck gibt es Wege der Ver­ge­bung und Ver­söh­nung. Auch Bischof Oster bekräf­tig­te, dass die Sprach­lo­sig­keit auf bei­den Sei­ten noch groß ist, doch die Kir­che alles dar­an set­ze, die­se Sprach­lo­sig­keit zu über­win­den. Am Ende appel­lier­te Fah­nen­bruck, die Kir­che nicht zu ver­las­sen, denn: Wir kön­nen das Pro­blem in der Kir­che nur lösen, wenn es enga­gier­te Men­schen in der Kir­che gibt, die hel­fen, das Sys­tem zu verändern. 

Schmidt Susanne

Susanne Schmidt

Bischöfliche Pressesprecherin

Warum Prävention so wichtig ist?

Sicheren Schutzraum durch Information schaffen

Bet­ti­na Sturm, die Prä­ven­ti­ons­be­auf­trag­te im Bis­tum Pas­sau, betont die Wich­tig­keit von Prä­ven­ti­on: Das vor­han­de­ne Rüst-zeug, sich selbst zu schüt­zen, reicht bei Kin­dern, Jugend­li­chen und schutz- oder hil­fe­be­dürf­ti­ge Men­schen allein nicht aus, da Täter­stra­te­gien per­fi­de sind, indem bei­spiels­wei­se Ver­trau­en und Macht­po­si­ti­on aus­ge­nutzt wer­den. Des­halb braucht es Erwach­se­ne, die mit ein­be­zo­gen wer­den, um einen siche­ren Schutz­raum für die­se Anver­trau­ten zu schaf­fen. Unse­re Prä­ven­ti­ons­ar­beit im Bis­tum trägt dazu bei, dass Sprech­räu­me für Aus­tausch und Refle­xi­on eröff­net wer­den. Wir ver­mit­teln Hand­lungs­si­cher­heit in die­sem The­men­feld und befä­hi­gen, das Rich­ti­ge im Umgang mit Betrof­fe­nen zu tun. Wir wol­len durch die Prä­ven­ti­ons­ar­beit auch Betrof­fe­nen signa­li­sie­ren, dass wir ansprech­bar sind, zuhö­ren und aus­hal­ten kön­nen und gemein­sam die not­wen­di­gen Schrit­te gehen.“

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