Wenn im Spätherbst die kalte Abendluft nach Schnee riecht und vereinzelt dicke Flocken vor den Fenstern tanzen, dann scheint die Welt in diesen Momenten fast immer ein bisschen still zu stehen. Und eine kindliche Freude macht sich breit, ganz tief im Inneren, in Erwartung der kommenden Zeit. Es ist auch der Augenblick der Erinnerungen und des Erzählens von früher. Ältere Leute berichten gerne auch über den Besuch des frühmorgendlichen Engelamts, oft sich bis an die kleinste Einzelheit erinnernd.
Die Wurzeln der Rorate-Messen reichen bis ins vierte Jahrhundert zurück, als sich in Italien und Spanien die Advents-Liturgie entwickelte. Ihren Namen hat die Rorate-Messe von ebenfalls im vierten Jahrhundert bereits verwendeten Wechselgesängen, die sich am Vers 45,8 des Buches Jesaja orientierten. Dieser lautet „Rorate caeli desuper, et nubes pluant iustum: aperiatur terra, et germinet Salvatorem“, zu Deutsch „Tauet Himmel, von oben, ihr Wolken, regnet den Gerechten: Es öffne sich die Erde und sprosse den Heiland hervor“.
Fest liturgisch etabliert hat sich die Messfeier mit der Verkündigung des Dogmas von „Maria als Gottesgebärerin“, das in drei Konzilen thematisiert und letztendlich im Konzil von Chalcedon im Jahr 451 als lehramtliche Aussage getroffen wurde. Bis zur Liturgiereform im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils war die Rorate-Messe eine Votivmesse zu Ehren Mariens, bei der das Evangelium von der Verkündigung des Herrn durch den Engel Gabriel vorgetragen wurde. Daher stammt auch die bis heute umgangssprachlich gebräuchliche Bezeichnung „Engelamt“ für Morgenfeiern in der Adventszeit.
In Bayern ist die Rorate-Messe seit dem Ende des 15. Jahrhunderts nicht nur bekannt, sie gehörte wohl zu den beliebtesten Messformen überhaupt. Sie war an Dramatik und Theatralik gerade während der Barockzeit kaum zu überbieten: Verkündigungsengel, ja ganze himmlische Heerscharen traten auf, Wolken wurden vor ihnen hergetragen, Bühnenelemente verschoben, Orgel oder auch Blasmusik begleiteten die Zeremonie. Andernorts wurden lebensgroße Wachsfigurengruppen, die die Verkündigungsszene oder biblische Heilszenen nachstellten, durch den Mittelgang getragen oder einfach vorne am Speisgitter postiert. Und das alles bei einer nur durch Kerzenschein erleuchteten und durch den Weihrauch vernebelten Kirche. Der sinnliche Eindruck muss in der Tat bleibend gewesen sein.
Ehemalige Ministranten erzählen, dass das Vorbereiten des Weihrauchs in der Sakristei auf einem kleinen Kanonenöfchen die einzige Heizquelle in der winterlich eisigkalten Kirche war, und sie und der Pfarrer sich dort die Hände wärmten. Wer einen alten Dorflehrer in seinem Bekannten- oder Verwandtenkreis hat, der kennt auch die Geschichten, dass das Orgelspiel während des Engelamts – die Pädagogen waren wegen ihres geringen Einkommens auf das Gehalt als Organisten angewiesen – in der Kälte fast unmöglich war, Pedale und Manuale funktionierten nicht. Man war froh, wenn man wenigstens ein Surren oder Brummen der Orgel entlocken konnte – nichts war schlimmer als peinliche Stille in den andächtigen Momenten. Ruhig blieb es auch dann, wenn der Organist die Orgelempore nicht rechtzeitig erreichte – viele Lehrer gaben in den adventlichen Morgenstunden „Gastspiele“ in verschiedenen Kirchen. Je nach Schneehöhe und Wetterlage konnte es da schon passieren, dass man zu spät kam oder überhaupt nicht mehr auftrat.
Das frühmorgendliche Rorate-Amt brachte etwas in den bayerischen Landeskindern zum Klingen wie sonst nur Weniges. Dass in Altbayern sogar eine eigene Liturgieform entwickelt wurde, denn nur hier wurde das Engelamt vor dem ausgesetzten Allerheiligen zelebriert, ist wohl nur eine Folge davon. Das tägliche Engelamt um sechs Uhr in der Früh durfte, so heißt es in einer Beschreibung über Rottaler Brauchtum aus dem Jahr 1845, keinem auskommen, schon wegen des Segens. Jede Familie bestellte ihr eigenes Rorate. Fiel auch der eigene Taufname noch in den Advent, dann bezahlte man zusätzlich ein Namenstags-Engelamt. Es wird aus anderen Gegenden zwischen Donau und Inn berichtet, dass man bereits um vier Uhr mit den ersten Roratemessen begann, die im halbstündigen Turnus bis sieben Uhr morgens gefeiert wurden. Die Wachsstöckel und Pfennigkerzen auf den Kirchenbänken, die die Kirchenbesucher selbst mitbrachten, seien demnach nie verloschen, heißt es. Vielfach bestellten die Gläubigen ihre Ämter bereits weit im Voraus, denn es kam auch darauf an, wann die Messe gelesen wurde. Dem Zeitraum zwischen dem 17. Dezember bis zum Heiligabend sagte man eine besondere Wirkmächtigkeit nach. Auch der Quartember-Mittwoch im Advent, an dem die sogenannte „Goldene Messe“ feierlich begangen wurde, zählte zu den bevorzugten Tagen.
Text: Maximiliane Heigl-Saalfrank
Rorate-Messen und Engelämter in Altötting
Feierliche Messen im Advent haben eine lange Tradition. Am Wallfahrtsort Altötting gibt es auch heuer viele Angebote in der Stiftspfarrkirche St. Philippus & Jakobus – zum einen bis einschließlich 16. Dezember Rorate-Gottesdienste, also Marienmessen, die bei Kerzenschein gefeiert und mit dem Eucharistischen Segen abgeschlossen werden; zum anderen in der Oktav vor Weihnachten sogenannte Engelämter.
Die Termine:
Rorate-Messen:
- Erster Adventssonntag, 1. Dezember, 19 Uhr
- Montag, 2. Dezember, 19 Uhr
- Dienstag, 3. Dezember, 6.30 Uhr
- Mittwoch, 4. Dezember, 19 Uhr
- Donnerstag, 5. Dezember, 6.30 Uhr
- Freitag, 6. Dezember, 19 Uhr
- Samstag, 7. Dezember, 7 Uhr
- Zweiter Adventssonntag, 8. Dezember, 19 Uhr
- Montag, 9. Dezember, Hochfest Maria Immaculata, 19 Uhr
- Dienstag, 10. Dezember, 6.30 Uhr
- Mittwoch, 11. Dezember, 19 Uhr
- Donnerstag, 12. Dezember, 19 Uhr
- Freitag, 13. Dezember, 19 Uhr
- Samstag, 14. Dezember, 7 Uhr
- Dritter Adventssonntag (Gaudete), 15. Dezember, 19 Uhr
- Montag, 16. Dezember, 19 Uhr
Engelämter:
- Dienstag, 17. Dezember, 6.30 Uhr
- Mittwoch, 18. Dezember, 19 Uhr
- Donnerstag, 19. Dezember, 6.30 Uhr
- Freitag, 20. Dezember, 19 Uhr
- Samstag, 21. Dezember, 7 Uhr
- Vierter Adventssonntag, 22. Dezember, 19 Uhr
- Montag, 23. Dezember, 19 Uhr