Berge. Sie sind große deutsche Sehnsuchtsorte. Jedes Jahr in der Ferienzeit strömen Millionen Flachlandindianer aus den norddeutschen Tiefebenen in die Höhen von Alpen und Bayerischem Wald. Mitunter deckt sich dann die Sehnsucht nicht ganz mit den Erinnerungen an einen Kindheitsurlaub …
Ihre zwischenzeitlich fast vollständig eingebüßte Schwindelfreiheit jedenfalls stellte kürzlich eine mir bekannte liebe Person schon bei der Anfahrt über steile Serpentinen zur gebuchten Unterkunft vor beinahe unlösbare Herausforderungen. Oben angekommen jedoch entschädigte der weite Blick in die Salzburger Schieferalpen reichlich für die ausgestandenen Ängste.
Aber nicht nur touristische „Sommerfrischler“ zieht es zu den steinernen Riesen. „Ihre Berge“ lassen auch die Einheimischen selbst nicht los – immer wieder müssen sie hinauf. Woher kommt nur diese magische Anziehungskraft, was macht sie aus? Vielleicht ist es dieses „Mehr“ einer gewaltigen, ebenso grandiosen wie furchterregenden Natur, das über uns verletzliche, fehlbare Menschlein hinausweist. Vielleicht ist es aber auch viel banaler: „Gehen, sich bewegen, auf einen Berg steigen und wieder absteigen – das ist eine Parallele zum Leben. So gesehen hat der Berg große Symbolkraft und Bedeutung“, meint der österreichische Extrembergsteiger Peter Habeler (*1940).
Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. Im Gebirge werden die Muskeln müde und der Kopf frei. In die Anstrengung über einen steilen Aufstieg mischt sich immer wieder das schiere Staunen über die Natur. Kaum jemand hat das Phänomen tiefer durchdrungen und schöner beschrieben als der langjährige Innsbrucker „Bergbischof“ Reinhold Stecher (1921−2013): „Es ist eine wunderbare Erfahrung, wenn Mensch und Schöpfung, dunkler Abgrund und lichte Höhe, Gipfelspur und blauer Horizont, Leben und Tod, Zeit und Ewigkeit in der Seele zusammenklingen wie eine große Symphonie des Daseins.“ Seltsam: auf unwegsamen Bergpfaden fühlt man sich viel geerdeter als auf sicherem Pflaster. Und zugleich dem Himmel viel näher. Leidenschaftliche Bergwanderer verstehen, was gemeint ist – sie wissen sich auf unbestimmte Weise verbunden, grüßen einander auch als völlig Fremde ganz selbstverständlich.
„Berge führen viele Menschen an jene Grenze, die man Schwelle des Glaubens nennt. Sie tun es still und unaufdringlich, behutsam und vornehm, und gerade deshalb tun sie es so eindrucksvoll.”
Es tut uns Menschen gut, hin und wieder über unsere Grenzen hinaus zu gehen, Ohnmacht und Schwindel auszuhalten – um eine besondere Form der Geborgenheit zu finden. Noch einmal Reinhold Stecher: „Berge führen viele Menschen an jene Grenze, die man Schwelle des Glaubens nennt. Sie tun es still und unaufdringlich, behutsam und vornehm, und gerade deshalb tun sie es so eindrucksvoll“.
Liebe Leserinnen und Leser, genießen Sie Ihren Urlaub, ihre Auszeiten in den Bergen. Begegnen Sie sich selbst … und vielleicht auch Gott auf neue Weise. Viele Wege führen zu ihm – „einer geht über die Berge!“ Das sagt, Sie ahnen es, Reinhold Stecher.
Wolfgang Terhörst
Redaktionsleiter