Die Premiere hätte nicht auf einen besseren Tag fallen können. Am 8. März, dem Weltfrauentag, war es endlich so weit, hatte doch Stadtführer Hannes Schneider immer wieder vorgeschlagen, endlich jenen zahlreichen interessanten Frauen einen Namen und eine Stimme zu geben, die ihr Weg nach Altötting geführt und die oder deren Ideen bleibende Spuren im Herzen Bayerns hinterlassen haben. Sei es historisch, sei es gesellschaftlich oder auch nur der Legende nach wie Rosa Luxemburg, die angeblich regelmäßig bei einer Modistin in der Neuöttinger Straße Unterkunft bezog, um heimlich den Kapellsingknaben in der Gnadenkapelle zu lauschen. Luxemburg, so heißt es in der Wallfahrtsstadt, habe ein Faible für Kirchenmusik entwickelt, das sie sich nur fern von Berlin und ihren Parteigenossen auszuleben getraute.
Akribisch sammelte Hannes Schneider in den letzten zwei Jahren Lebensdaten um Lebensdaten, tauchte ein in Bildarchive und die jüngere Zeitgeschichte Altöttings, befragte Zeitzeugen. Heraus kamen verschiedene Führungsmodule, die je nach aktuellem Anlass oder Meilensteinen der Stadt- und Wallfahrtsgeschichte unter dem Schlagwort „Starke Frauen“ kombiniert werden können – immer kurzweilig, überraschend und stets auch mit einem kleinen Augenzwinkern.

Die erste thematische Frauenstadtführung – es folgten zehn Frauen und ein Mann den Ausführungen des Guides – bewegte sich rund um den Kapellplatz. An vier Stationen machte die Gruppe Halt: In der Josephskirche der Congregatio Jesu, mitten in der Grünanlage des Kreuzwegs an der Marienstraße, vor der Gnadenkapelle und in St. Magdalena, der Ordenskirche Altöttings mit ihrer wechselvollen Geschichte.
Die erste „starke Frau“, deren Leben Cicerone Schneider detailliert und immer wieder mit historischem Bezug auf Altötting skizzierte, war Mary Ward, Gründerin des ehemals „Englische Fräulein“ genannten Frauenordens und eine der maßgeblichen Pionierinnen der Frauenbildung. Erfahren durfte die Zuhörerschaft nicht nur, dass der in München inhaftierten Engländerin der ehemalige Altöttinger Dekan Jakob Golla die päpstliche Bannbulle wegen Häresie vorlas, sondern auch, dass im Kloster St. Joseph in einem Schränkchen die Hinterlassenschaften Mary Wards bis heute liebevoll aufbewahrt werden: ihr Filzhut, ihre Reiseschuhe, ihr Rosenkranz, der Reisewecker und ein Gebetskreuz.
Quer über den Kapellplatz ging es dann zum zweiten Halt, in den extra für die Führung geöffneten Kreuzweg. Dort ließ Hannes Schneider den für die Stadt und seine Bewohner bis heute prägenden Gedenktag, den 28. April 1945, lebendig werden. Kaum bekannt ist, dass drei Frauen – die Damen Haug, Scheupl und Gmach – statt ihrer Männer von den Nazischergen inhaftiert worden waren und exekutiert werden sollten. Ihren Platz in der Stadtgeschichte sollten zudem Frauen wie Antonie Obermeyer finden, die in Altötting aktiv Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime geleistet oder die Folgen der Tyrannei als Alleinerziehende ohne Einkommen zu tragen hatten.

Als dritte und vorletzte Station war die Gnadenkapelle auserkoren worden. Thematisiert wurden hier, mit einem kleinen kunsthistorischen Exkurs über das Gnadenbild selbst, die Lebensbilder der vielen prominenten Frauen aus dem europäischen Hochadel, die allesamt den Namen Maria als Vornamen führten und deren Herzen ganz nah bei ihrer Patronin liegen. Besonderes Augenmerk legte Hannes Schneider auch hier wieder auf ihre Verbindung zu Altötting – exemplarisch vorgestellt wurden Maria Anna von Pfalz-Sulzbach, Maria Anna von Sachsen und die Mutter der bayerischen Könige Ludwig II. und Otto. I, Marie von Bayern, vormals eine lutherische Prinzessin von Preußen.
Das letzte Kapitel der Stadtführung wurde in der St. Magdalenakirche aufgeschlagen, der traditionellen Beichtkirche der Wallfahrer. Ursprünglich eine jesuitische Gründung, ging sie nach dem Verbot des Ordens in die Hände der Malteser über. Nach der Säkularisation überlegte das Königreich Bayern, dort Soldaten zu stationieren und Altötting zu einer Garnisonstadt zu machen. Die Bürger wehrten sich erfolgreich dagegen.
1841 berief Ludwig I. die Redemptoristen nach Altötting. Damit begann eine der bizarrsten, unglaublichsten und auch pikantesten Frauenbiographien in der langen Stadtgeschichte überhaupt, in deren Mittelpunkt eine der schillerndsten Töchter der Stadt stand: Louise Beck, eine hochgradig neurotische Manipulatorin höchster kirchlicher Kreise in Bayern, die letztendlich sogar Einfluss auf den Heiligsprechungsprozess von Clemens Maria Hofbauer nahm.
Man kann gespannt sein, welche Altöttinger Frauenschicksale Hannes Schneider im Laufe der kommenden Stadtführungen noch lebendig werden lässt, hält er es doch mit dem Wort Mary Wards, die sagte: „(…) Wahrheit können Frauen ebenso gut besitzen wie Männer. Misslingt es uns, so geschieht es aus Mangel an dieser Wahrheit, aber nicht, weil wir Frauen sind.“
Text: Maximiliane Heigl-Saalfrank
Die nächsten Stadtführungen „Altöttings Starke Frauen“ finden statt am 11. Mai, 20. Juni, 6. Juli und am Hohen Frauentag, dem 15. August, jeweils um 15 Uhr; Treffpunkt vor dem Rathaus. Anmeldungen nimmt die Bürger- und Touristinfo im Rathaus entgegen.
