Die Burschen trauen sich was! Das war mein erster Gedanke, als ich vor einigen Tagen im Kino „Ausgrissn! In der Lederhosn nach Las Vegas“ ansah. Der Inhalt: Die Brüder Julian und Thomas Wittmann wollen raus aus der Provinz. Sie lassen ihre oberbayerische Dorfheimat hinter sich, um die große Freiheit in der Ferne zu suchen. Mit zwei 50 Jahre alten Zündapp-Mopeds brechen sie auf: 12.000 Kilometer von Bayern nach Antwerpen, über den großen Teich nach New York und weiter durch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten bis nach Las Vegas. Sie lernen skurrile Menschen kennen, frösteln in Kälte und Regen, haben unzählige Pannen, erfahren immer wieder große Gastfreundschaft und kommen nach drei Monaten tatsächlich in Las Vegas an. Eine dreiköpfige Filmcrew hat die Reise in ein farbenprächtiges Roadmovie verwandelt. Wobei die dunklen, die verlorenen Seiten der Vereinigten Staaten nicht ausgeblendet werden.
Jugenderinnerungen wurden wach.Die USA waren auch für uns junge Mopedrocker in den 80er Jahren Sehnsuchtsland. Wir waren ganz sicher: Wo alles so viel weiter, größer, höher ist als bei uns, wo die Straßen nicht B12 oder A92, sondern Highway No. 1 oder Route 66 heißen, dort wo die Freiheit wohnt, da muss das Paradies sein. Dass die Vereinigten Staaten nie ganz das waren, was wir uns erträumten und es heute erst recht nicht mehr sind, steht auf einem anderen Blatt.
Unsere Moped-Fluchten aus dem Alltag waren überschaubarer: Statt 12.000 Kilometer fuhren wir 1200, statt drei Monaten waren wir zwei Wochen in Deutschland und dem benachbarten Ausland unterwegs. Und wir hatten nie ein Kamerateam dabei. Trotzdem sind diese Touren tief im Festspeicher der Erinnerung eingebrannt: Landschaften, Menschen, Begebenheiten, Begegnungen und vor allem auch Pannen an unseren alten Motorrädern: Ein verlorener Auspuff in Brunsbüttel, eine verbrannte Kupplung mitten in Frankreich, Kolbenklemmer, Zündungs- und Vergaserdefekte, Motorschäden. Wir wurden zu Meistern der Improvisation und sind irgendwie doch immer heimgekommen. Weil zur rechten Zeit ein hilfsbereiter Mensch da war, weil plötzlich jemand eine Idee hatte, weil von irgendwoher ein Lichtlein kam – es hat sich am Ende immer alles zum Guten gewendet.
Im Lauf der Jahre durfte ich als Journalist auch andere Arten zu reisen kennenlernen. Perfekt geplante, gut abgesicherte Touren in ferne Länder, wo man eine Sehenswürdigkeit nach der anderen auf dem Silbertablett serviert bekommt und sich um nichts kümmern muss. Auch das hat was. Aber im Erinnerungsspeicher bleibt nicht annähernd so viel hängen.
Eine Erfahrung machen freilich wohl alle Reisenden: Wer aufbricht, lernt auch die Heimat wieder mit anderen Augen zu sehen und zu schätzen. Auch die Lederhosen-Burschen aus „Ausgrissn“ waren sich am Ende gar nicht mehr so sicher, ob nicht doch selbst im Dorf in Bayern die Freiheit zu Hause sein kann. Thomas Wittmann fasst das im Film so zusammen: „Man sieht echt so wahnsinnig vui neie Sachen, wenn man unterwegs is. Aber wos ma scho a sieht, is, wia schee dass die oiden Sachen dahoam sei kinnan.“ Allein für diese Einsicht hätte sich das Abenteuer schon gelohnt.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur
Zitat der Woche
„Es war entspannend, heute nicht entscheiden zu müssen.”