Dienstagfrüh. Freier Tag. Die Hände klamm von der Kälte. Ich kurble mit meinem Rad durch die Stille. Graue Eintönigkeit. Vorbei an Wiesen, Feldern und Bäumen, vom Raureif überzogen. Im Tal unvorstellbar, aber es passiert: Der Nebel wird schwach und schwächer und irgendwann durchsichtig. Und dann gibt er klein bei. Macht der Sonne Platz. Der Wärme. Dem Licht. Unter mir ein Meer aus Wolken. Ich bin um diese Zeit ganz allein auf dem Hochstein an der Bischof-Neumann-Kapelle. Es ist so still, dass man die Autos unten im nebligen Tal hört. Nur ein einziger Flieger kreuzt den Himmel.
Dies ist ein besonderer Ort. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich hinterfragt habe, wer das eigentlich ist, dessen Bild in dieser Kapelle hängt. Heute weiß ich es – und ich möchte Ihnen den spannenden Mann, auf dessen Patronat dieser Gebetsort vor 40 Jahren geweiht wurde, kurz vorstellen: Johann Nepomuk Neumann (1811 — 1860) oder auch John Newman ist der erste heiliggesprochene US-Bischof, der „Apostel der Neuen Welt“. Er war Bischof von Philadelphia und gilt bis heute als einer der wichtigsten Glaubensväter im Amerika der Besiedlungszeit. Bischof Neumann hat mehr als 100 Schulen gegründet. Denn in einer guten Schulausbildung sah er den entscheidenden Schlüssel für den sozialen Aufstieg. Er hielt sich vor allem an die einfachen und armen Leute; ihnen fühlte er sich verwandt, mit ihnen aß er Kartoffelsuppe, spülte selbst in der Küche.
Und dieser Mann hat hier ganz in der Nähe seine Wurzeln. Am 28. März 1811 wurde Johann Nepomuk Neumann in Prachatitz (Prachatice) im Böhmerwald geboren. Er wanderte in die USA aus, weil es in seiner Heimat so viele Priesteramtskandidaten gab, dass er nicht gleich zur Weihe zugelassen wurde. Er lief seiner Berufung hinterher. Neumann war ein Lebens- und Glaubensabenteurer. Einer, der niemals aufgab und alles aus seinem Leben herausholte.
Am 5. Januar 1860 um 3 Uhr nachmittags brach der 1,60 Meter große Mann wegen eines Herzstillstandes auf der Straße zusammen und starb noch am gleichen Tag. Er wurde in der Redemptoristenkirche von Philadelphia bestattet. Sein Begräbnis war die größte Feier, die die Stadt bis dahin erlebt hatte. 1963 wurde er selig‑, 1977 heiliggesprochen. Sein Gedenktag ist der 5. Januar. Bischof Neumann war der Brückenbauer schlechthin – zwischen Völkern, zwischen Menschen.
Könnte es einen besseren Ort als diese Kapelle geben, um das Getöse der letzten Wochen hinter sich zu lassen? In der Stille bete ich ein Vaterunser. Dankbar. Dann geht‘s gestärkt hinab ins Tal. Über Stock und Stein hinein in den Nebel.
Wolfgang Krinninger
Chefredakteur