„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen …“

Redaktion am 17.03.2025

2025 03 17 pb alb wanderausstellung namen statt nummern Fotos: Roswitha Dorfner
Aus der Vergessenheit holen: Zahlreiche Schüler, Studenten, historisch interessierte wissenschaftliche Laien und Angehörige recherchieren ehrenamtlich die Lebensgeschichten ehemals in Dachau inhaftierter Häftlinge. Sie fertigen Gedächtnisblätter an, die zu einem weiter wachsenden „Gedächtnisbuch“ beitragen.

Die internationale Wanderausstellung „Namen statt Nummern“ zeigt in Altötting und Eggenfelden eine Auswahl von Lebensbildern des Dachauer Gedächtnisbuch-Projekts. Doch es bleibt noch viel zu tun in der Erinnerungsarbeit.

Den Kopf kahl­ge­scho­ren, in Zebra-Klei­dung statt Anzug und Kra­wat­te, die blo­ßen Füße in Holz­pan­ti­nen, auf der Brust gebrand­markt mit dem roten Drei­eck als poli­ti­scher Häft­ling, ent­per­sön­licht. Gabri­el May­er war nicht mehr Gabri­el May­er, ehe­ma­li­ger Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter und Bür­ger­meis­ter sei­ner Geburts­stadt Alt­öt­ting, nein, er war fort­an nur mehr 93332, eine belie­big aus­tausch­ba­re Num­mer, im Sys­tem des KZ Dach­au. So wie ihm war es bereits ande­ren Söh­nen der Wall­fahrts­stadt ergan­gen. Sie ver­lo­ren ihre Namen, waren zu blo­ßen fünf- und sechs­stel­li­gen Num­mern einer Ver­nich­tungs­ma­schi­ne­rie gewor­den, einer von Men­schen gemach­ten Höl­le, die sie teil­wei­se nicht mehr aus­spie – in Dach­au, Sach­sen­hau­sen, Buchen­wald, Neu­en­gam­me, Maut­hau­sen. In Alt­öt­ting hat­te man sie ver­ges­sen, ihre Namen, ihre Gesich­ter, ihre Geschich­ten, ihr Leben. Die Erin­ne­rung an sie ist bis heu­te kaum präsent.

Zu den KZ-Gefan­ge­nen in Dach­au zähl­te auch Alt­öt­tings lang­jäh­ri­ger Bür­ger­meis­ter Gabri­el Mayer.

Fotos: Stadt Alt­öt­ting (l) / Arol­sen Archi­ves (2)

Sich zu erin­nern, kann auf vie­ler­lei Wei­se gesche­hen, Men­schen ihre Namen dabei zurück­zu­ge­ben, sie leben­dig wer­den zu las­sen als Kin­der ihrer Eltern, als Geschwis­ter, Freun­de, Gelieb­te und Lie­ben­de, in ihr Gesicht zu bli­cken und ihre Stim­me zu hören aus Brie­fen, Tage­bü­chern und klei­nen Noti­zen, das zei­gen die indi­vi­du­ell gestal­te­ten Gedenk­blät­ter des Gedächt­nis­bu­ches Dach­au für die Häft­lin­ge des KZ Dachau“.

Mit­ge­tra­gen wird das Frei­wil­li­gen­pro­jekt seit über 25 Jah­ren von einem Trä­ger­kreis. An ihm betei­li­gen sich inhalt­lich und finan­zi­ell das Dach­au­er Forum – Katho­li­sche Erwach­se­nen­bil­dung e.V.“, die Evan­ge­li­sche Ver­söh­nungs­kir­che in der KZ-Gedenk­stät­te Dach­au, der För­der­ver­ein für Inter­na­tio­na­le Jugend­be­geg­nung und Gedenk­stät­ten­ar­beit in Dach­au e.V., die Katho­li­sche Seel­sor­ge an der Gedenk­stät­te Dach­au, der Kreis­ju­gend­ring Dach­au, die Lager­ge­mein­schaft Dach­au e.V. sowie das Max Mann­hei­mer Studienzentrum.

Sabi­ne Ger­har­dus lei­tet seit sei­nen Anfän­gen im Jahr 1999 das Pro­jekt. Ihr zur Sei­te steht ein fes­tes Team mit vier Ehren­amt­li­chen vor Ort sowie zwei jun­gen Frei­wil­li­gen der Akti­on Süh­ne­zei­chen Frie­dens­diens­te, die der­zeit aus Frank­reich kom­men. Als Leit­satz für die bio­gra­phi­sche Erin­ne­rungs­ar­beit kann das Jesa­ja­wort gel­ten: Fürch­te dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei dei­nem Namen gerufen“.

Seit einem vier­tel Jahr­hun­dert rekon­stru­ie­ren Schü­ler, Stu­den­ten, his­to­risch inter­es­sier­te wis­sen­schaft­li­che Lai­en und Ange­hö­ri­ge die Lebens­ge­schich­ten ehe­mals in Dach­au inhaf­tier­ter Häft­lin­ge, auf vier­sei­ti­gen DIN A3-Blät­tern, mit Fotos, Zeich­nun­gen und klei­nen Text­stel­len. Aus den mitt­ler­wei­le über 300 Häft­lings­bio­gra­fien ist eine inter­na­tio­nal gezeig­te Wan­der­aus­stel­lung ent­stan­den, die mit­tels gro­ßer grün-wei­ßer Ban­ner Lebens­läu­fe der Gefan­ge­nen vor­stellt und über­all in den Län­dern und an den Orten Halt macht, aus denen Men­schen in das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au depor­tiert wurden.

2025 03 17 pb alb wanderausstellung namen statt nummern keb Foto: Roswitha Dorfner
Wichtige Initiative: Die Katholische Erwachsenenbildung Rottal-Inn-Salzach (KEB RIS) stellte die Ausstellung in Altötting am Kapellplatz auf die Beine und bringt sie auch nach Eggenfelden.

Am 22. März 1933 pas­sier­ten dort die ers­ten Häft­lin­ge ein, der vier­und­zwan­zig­jäh­ri­ge Claus Bas­ti­an wird als Häft­ling Nr. 1 gelis­tet, am 27. April 1945 erhält der jun­ge Pole Miecz­slaw Chare­cki die letz­te Häft­lings­num­mer: 161.896. Rund 200.000 Men­schen wer­den im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Dach­au und sei­nen Außen­la­gern inhaf­tiert, etwa 41.500 von ihnen sterben.

Nun hin­gen auch am Kapell­platz, im Deka­nats­haus Alt­öt­ting, im Erd­ge­schoss und im 1. Stock die Fah­nen der Erin­ne­rung, auf Initia­ti­ve der Katho­li­schen Erwach­se­nen­bil­dung Rot­tal-INN-Salz­ach e.V. Das Bil­dungs­werk sieht es, acht­zig Jah­re nach Kriegs­en­de und ange­sichts der jüngs­ten poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen als ein Muss an, gera­de jetzt das Demo­kra­tie­ver­ständ­nis und Geschichts­be­wusst­sein zu stär­ken. Dabei Brü­cken zwi­schen Ver­gan­gen­heit und Gegen­wart und zwi­schen den Gene­ra­tio­nen zu bau­en, dafür erschien den Orga­ni­sa­to­ren das Dach­au­er Gedächt­nis­buchs ide­al. Eine berüh­ren­de Eröff­nungs­fei­er mit Tex­ten und Lie­dern, unter ande­rem das ver­ton­te Gedicht Von guten Mäch­ten wun­der­bar gebor­gen“ des im KZ-Flos­sen­bürg am 9. April 1945 ermor­de­ten Theo­lo­gen Diet­rich Bon­hoef­fer, stimm­te auf das Ken­nen­ler­nen und zur Begeg­nung mit Män­nern ein, deren Leben nicht unter­schied­li­cher sein hät­te können. 

Da ist der Gra­zer Rom Karl Wacker Hor­vath, ein Stoff­händ­ler, der im Zuge der Akti­on 14f13 von Dach­au nach Schloss Hart­heim bei Linz gebracht und dort ver­gast wur­de, da ist der Lands­hu­ter Mar­tin Anson (Ans­ba­cher), den man zusam­men mit sei­nen Ver­wand­ten nach der Reichs­pro­grom­nacht 1938 inhaf­tier­te, der aber im Janu­ar 1939 im Zuge der Ari­sie­rung“ des elter­li­chen Tex­til­ge­schäfts ent­las­sen wur­de und nach Groß­bri­tan­ni­en emi­grie­ren konn­te. Da sind aber auch der Münch­ner Weih­bi­schof Neu­häus­ler und Pas­tor Mar­tin Niem­öl­ler, das Gesicht der Beken­nen­den Kir­che, die zu den elf Por­träts gehö­ren, die stell­ver­tre­tend für etwa 2800 christ­li­che Pries­ter, Pfar­rer und Ordens­leu­te ste­hen, die in Dach­au ein­ge­sperrt waren. 57 von ihnen sprach die katho­li­sche Kir­che bereits selig oder hei­lig. Zu ihnen zäh­len der seli­ge Karl Leis­ner, des­sen Hei­lig­spre­chungs­pro­zess 2007 eröff­net wur­de, und der aus dem Bis­tum Mei­ßen stam­men­de seli­ge Alo­is Andritz­ki, ein Jugend­seel­sor­ger. Über ihren per­sön­li­chen Wer­de­gang, ihre Beru­fung und ihre Haft­zeit infor­mie­ren zwei Ban­ner in der Wanderausstellung.

2025 03 17 pb alb wanderausstellung namen statt nummern karl leisner Foto: Roswitha Dorfner
Glaubenszeugen: Im sogenannten Priesterblock des KZ Dachau waren zahlreich Geistliche inhaftiert. Darunter auch Karl Leisner, dem ein Banner der Ausstellung gewidmet ist.

Anläss­lich des zwei­ten Öku­me­ni­schen Kir­chen­tags 2010 war die Ergän­zungs­aus­stel­lung über Geist­li­che ange­sto­ßen wor­den, die Auf­ar­bei­tung der Lebens­ge­schich­ten jüdi­scher Rab­bi­ner fin­det mitt­ler­wei­le auch statt. Und so erin­ner­te Lud­wig Schmi­din­ger – er wirk­te drei­zehn Jah­re als katho­li­scher Seel­sor­ger an der Gedenk­stät­te KZ Dach­au – am Eröff­nungs­abend in sei­nem Impuls­re­fe­rat über das Gedächt­nis­buch auch an den vor 80 Jah­ren am 10. März 1945 in Dach­au ver­stor­be­nen Jesui­ten­pa­ter Jer­zy Musiał, für den am 17. Sep­tem­ber 2003 der Selig­spre­chungs­pro­zess ein­ge­lei­tet wur­de. Musiał ist ein Name, ein Leben von vie­len, das vor dem Ver­ges­sen bewahrt wer­den muss. Die Arbeit an einem Gedenk­blatt ist ein viel­schich­ti­ger Lern­pro­zess, der nicht nur wis­sen­schaft­li­che Metho­dik ein­übt und Ein­füh­lungs­ver­mö­gen ent­wi­ckelt, son­dern sehr sen­si­bel macht dafür wie gefähr­det und zer­brech­lich demo­kra­ti­sche Wer­te sein kön­nen“, so Pas­to­ral­re­fe­rent Schmidinger.

Er selbst habe auch an Blät­tern mit­ge­wirkt und tei­le die Mei­nun­gen der Ehren­amt­li­chen, die es ihm gleich­ta­ten und tun. Man taucht tie­fer in ein Ein­zel­schick­sal ein, Geschich­te wird mit einem Mal per­sön­lich erfahr­bar, der Kon­takt mit den Ver­wand­ten berühr­te mich eben­so wie auch die Freu­de, die sie einem ver­mit­teln dar­über, dass man sich ihres Fami­li­en­mit­glieds in der Gedenk­ar­beit annäh­me“. Wohl eine der nach­hal­tig im Gedächt­nis blei­ben­de Aus­sa­ge, die Schmi­din­ger wie­der­gab, stammt von einem Schü­ler, der über sich selbst sag­te, dass er tole­ran­ter gewor­den sei gegen­über reli­giö­sen Gemein­schaf­ten, into­le­ran­ter aber gegen alles, was mit einer rech­ten Gesin­nung zu tun habe. Der Theo­lo­ge lud die Anwe­sen­den ein, am 22. März Dach­au zu besu­chen, denn an die­sem Tag – am 22. März 1933 wur­den die ers­ten 150 Häft­lin­ge ins Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger über­stellt –, wer­den tra­di­tio­nell die neu ent­stan­de­nen Häft­lings­bio­gra­fien vor­ge­stellt. Die­ses Jahr sind es zwölf neue Lebensläufe.

Wie beein­dru­ckend und nach­denk­lich machend das Erin­nern an Men­schen in Wort und Bild sein kann, zeig­ten die kon­zen­trier­te Stil­le, mit der die Betrach­ter vor den Lebens­ban­nern stan­den, aber auch die Wort­bei­trä­ge der Gäs­te, die am 10. März ihren Weg ins Deka­nats­haus gefun­den hat­ten. Nie wie­der und weh­ret den Anfän­gen“, mahn­te ein Alt­öt­tin­ger. Ich bin 1937 gebo­ren und habe erlebt, wo das alles hin­füh­ren und wie das enden kann.“ Der Sohn eines Shoa-Über­le­ben­den sprach dann aus, was wohl vie­le dach­ten: Es gibt nur noch weni­ge Zeit­zeu­gen, die über die Shoa und die Ver­fol­gung und Ver­nich­tung durch die Nazis aus eige­nem Erle­ben erzäh­len kön­nen. Um so wich­ti­ger ist es, deren Erin­ne­run­gen zu bewah­ren und an die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen wei­ter­zu­ge­ben.“ Über 200.000 Häft­lin­ge erleb­ten in Dach­au ihre Ent­mensch­li­chung, wie vie­le davon bei ihrer Über­stel­lung anga­ben, in Alt­öt­ting gebo­ren zu sein oder dort zu leben, ist in der Wall­fahrts­stadt bis­her nicht erfasst. Ein Gedenk­blatt ver­die­nen sie alle. Jetzt.

Text: Maxi­mi­lia­ne Heigl-Saalfrank

Die Ausstellung

Die Aus­stel­lung Namen statt Num­mern“ wan­dert von Alt­öt­ting am 25. März nach Eggen­fel­den wei­ter, in das ehe­ma­li­ge Fran­zis­ka­ner­klos­ter (Fran­zis­ka­ner­platz 1, 84307 Eggen­fel­den, Tel. 08721 1250360). Bis zum 6. April fin­det in Alt­öt­ting und Eggen­fel­den ein the­ma­tisch abge­stimm­tes Begleit­pro­gramm statt, wei­te­re Infor­ma­tio­nen hier.

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