Das 739 von Bonifatius gegründete Bistum Passau entwickelte sich während des Mittelalters mit einer Ausdehnung von 42.000 Quadratkilometern zur größten Gebietskörperschaft des Heiligen Römischen Reiches. Bis ins erste Jahrzehnt des elften Jahrhunderts reichte das Bistum Passau im Osten zu den ost-österreichischen Grenzflüssen March und Leitha. In dieser Zeit wurden zahlreiche Pfarreien entlang der Donau gegründet. Nicht zu Unrecht bezeichnete man damals diese Diözese auch als „Donaubistum“.
Während dieser Gründungsphase entstand auch die Pfarre Weiten im Weitental. Mit dem Gründungsjahr 1050 ist diese Pfarrei eine der ältesten des Waldviertels. Sie reichte damals von der Donau (Emmersdorf-Ebersdorf bis Martinsberg) und vom Jauerling ins Yspertal. Bis zum Jahre 1432 gehörte dieser Pfarrverband zum Bistum Passau sowie bis 1804 zum Kollegiatstift Vilshofen in Bayern. Danach unterstand dieser dem Landesfürsten und seit dem Jahre 1938 gehört er zur Diözese St. Pölten.
Die heutige Pfarrkirche St. Stephanus, ein dreischiffiger Hallenbau mit einem – nach einem Brand – barockisierten Gewölbe, wurde in den Jahren 1330 bis 1360 im gotischen Stil erbaut. Der mächtige Hauptaltar aus der Zeit um 1640 mit künstlerisch beeindruckendem Figurenschmuck dominiert den stimmungsvollen Kirchenraum. Was aber die herausragende Besonderheit dieses Sakralbaus ausmacht, sind die reichen Maßwerkfenster mit höchst kunstvollen Glasmalereien aus der zweiten Hälfte des 14., der ersten Hälfte des 15. sowie dem Ende des 16. Jahrhunderts.
Die Motivpalette reicht von einzelfigürlichen Darstellungen von Jesus und der Mutter Gottes sowie diversen Heiligen bis zu Passionsszenen und Stiftergruppen. Man ist regelrecht überwältigt von dieser außergewöhnlichen Farbenpracht und der einzigartigen Strahlkraft, wie man sie in dieser Ausprägung sonst nur in den berühmtesten Kathedralen im europäischen Raum bewundern kann.
An der Ausführung dieser Kathedralglasfenster waren fünf verschiedene Spezialwerkstätten beteiligt. Experten weisen – was den Malstil und die Qualität anbetrifft – Zusammenhänge sowohl mit der Kunst am Bau beim Prager Hof als auch am Wiener Stephansdom nach. Auch Bezüge zu einer Glasmalerwerkstatt, die in der Klosterkirche in Melk tätig war, sind festgestellt worden.
Weitener Glasmalkunst: Die heilige Katharina mit Schwert und Rad und der Evangelist Johannes mit einem Adler als Symbol des Bezwingers des Bösen.
Fotos: Karl-Heinz Paulus
Die gotische Glasmalkunst erforderte eine äußerst aufwändige Technik, so dass sich verhältnismäßig wenige Werkstätten darauf spezialisierten. Die damaligen Glasgestalter mussten über ein ausgeprägtes Gefühl für Farbkomposition und Farbenklang verfügen. Sie mussten aber auch versierte Zeichner sein, wenn es um Entwürfe und Vorlagen ging. Dabei waren insbesondere die perspektivische Wirkung der Architektur und die Plastizität des Figürlichen ausschlaggebend. Diese Künstler beherrschten bei der Ausführung ihrer Maltechnik die Halbtonschattierung ebenso wie die Schwarzlotzeichnung und das Auskratzen bei der Haartracht und den Gewändern oder die diversen Abtönungen einer einzigen Farbe (Grisaille-Malerei).
Die Glasbilder werden aus farbigen Glasteilen mittels Bleiruten – wie ein Mosaik – zusammengesetzt. Die Bleifassung bildet gleichzeitig auch die Konturen. Für die feineren Gestaltungsnuancen verwendeten die Glasmaler das Schwarzlot, ein leicht aufzuschmelzendes Bleiglas. Aus diesem wird dann die Binnenzeichnung herausgekratzt. Im späteren Mittelalter wurde die Farbskala noch um spezielle Malfarben wie Silbergelb oder Eisenrot erweitert und man begann obendrein mit Überfangglas zu arbeiten. Damit und mit vielschichtigem Farbauftrag konnte man in der Gesamtwirkung der Komposition noch eine erhebliche Steigerung erzielen. So eine Leuchtkraft und so eine Transparenz ist nur in der Glasmalerei zu erzielen.
In der ehemaligen Wehrkirche St. Stephan in Weiten kann man dieses faszinierende Farbenspiel noch in höchster Vollendung erleben. Das ist eine einmalige Farbenpracht, die den kunstinteressierten Betrachter auf besondere Art berührt und in ihren Bann schlägt. Und diese intensive Wirkung ist keineswegs verwunderlich, denn dieses Juwel der Glasmalkunst zählt zu den kunsthistorisch bedeutendsten gotischen Glasfenstern Österreichs.
Text und Fotos: Karl-Heinz Paulus