Liebe Geschwister im Glauben,
es ist wieder mal eine schöne Fügung, dass an einem Tag, an dem wir uns miteinander zu einem Ausflug aufmachen, ein Evangelium wie dieses kommt – einer der schönsten Texte im Neuen Testament (Mt 11,28−30). Noch im Kapitel davor hatte Jesus den Jüngern gesagt: ‚Wenn ihr in meinem Namen rausgeht, dann wird‘s euch nicht nur gut gehen, dann werden sie euch vielleicht auch hassen, verfolgen, vor Gerichte stellen, womöglich sogar töten.‘ Jetzt, wenige Verse später, sagt er: ‚Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken‘ – ein schönes altes Wort: erquicken! ‚Ich will euch Ruhe verschaffen. Ihr sollt Ruhe finden für eure Seele bei mir‘.
Ich habe mich dann gefragt: Wie geht eigentlich Erholung? So kurz vor unserem Urlaub, viele von Ihnen werden Ferien machen. Wie erholt man sich eigentlich richtig? Und spielt da der Glaube, spielt Christus irgendeine Rolle dabei? Mir ist ein Wort von Thomas von Aquin eingefallen, der über den erlösten Menschen sagt: ‚Das Tun folgt dem Sein.‘ Ein kleines Wort, das ich für sehr wichtig halte: Das Tun folgt dem Sein. Was ist damit gemeint? Nun, der eher unerlöste, der natürliche Mensch – auch in mir und vermutlich in Ihnen allen – der will erst alles Mögliche getan haben und sich alles Mögliche verdient und erleistet haben: ‚Und dann darf ich sein! Dann darf ich endlich ausruhen.‘ Wir sagen auch: ‚Deine Ferien, die hast du dir redlich verdient, weil du doch so geackert hast. Jetzt darfst du endlich mal sein, weil du es dir selber verdient hast.‘ Und ganz oft ist es dann so, dass wir in Ferien gehen und alles Mögliche tun, damit wir dann auch dort irgendwie noch sein dürfen und sein können. Und vielleicht stellt mancher dann nach dem Urlaub fest: So wirklich erholt bin ich immer noch nicht, weil ich alles Mögliche tun musste, um mir dieses Sein-Können auch im Urlaub noch mal zu verdienen. Weil wir aus der Mühle gar nicht so leicht rauskommen. Wir wollen uns da etwas verdienen. Das Sein folgt dann nur dem Tun – und eben nicht umgekehrt.
„Der Herr lädt uns ein, ihm Zeit zu schenken.”
Aber wenn wir tatsächlich im Glauben gehen können, im Vertrauen gehen können, dann ist die Zusage: Bevor du irgendwas getan hast und geleistet hast, vor aller Leistung und vielleicht sogar trotz allem, was nicht gelingt, sogar trotz aller Schuld, bist du schon geliebt, und es ist gut, dass du da bist. Das Tun folgt dem Sein. Ein Leben aus dem Getragen-Sein, aus der dankbaren Erfahrung: Der Herr des Himmels und der Erde kennt mich und meint es gut mit mir, und er findet es gut, dass ich da bin, vor allem Tun, vor aller Leistung und trotz allem, wie ich auch manchmal bin oder sein kann.
Deswegen, liebe Schwestern und Brüder, lädt uns vielleicht der Herr auch in den Ferien ein, ihm Zeit zu schenken – aber nicht in der Weise ‚Jetzt muss ich auch noch beten.‘ Darum geht es nicht. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meiner Praxis, ohne damit Druck ausüben zu wollen: Ich gehe einfach morgens nach dem Duschen vor eine Christus-Ikone, auch in den Ferien, und bin dann einfach, und lass mich anschauen, und bin dankbar, dass ich einfach da sein darf. Und dann nehme ich vielleicht auch noch die Menschen ins Gebet vor ihm mit, die ich auf dem Herzen habe, und gebe sie ihm. Die, die mir nah sind oder die mit mir arbeiten oder mit denen ich unterwegs bin oder die, die mir ein besonderes Anliegen anvertraut haben. Und dann nehme ich vielleicht auch meine Befürchtungen, meine Bitterkeit, meine Unzulänglichkeit mit hin und gebe sie ihm und lass das Gefühl aufkommen, dass es gut ist, dass ich da bin und jetzt ausruhen darf vor ihm und bei ihm. Und dann schaue ich auch noch in sein Wort und lass mir das zusprechen und gehe so in den Tag. Und wenn ich mich frage am Ende der Zeit, in der Arbeitszeit, aber auch am Ende der Urlaubszeit, was erholt am meisten, dann ist es für mich diese Zeit.
Und dazu gehört natürlich noch Gemeinschaft mit guten Menschen, Dankbarkeit für die Schönheit der Natur, für das Sich-Bewegen-Können, für gutes Essen und gut Schlafen – aber immer unter dem Stichwort: Das Tun folgt dem Sein. Ich habe den Eindruck, wenn das gelingt, wenn wir in dieser Offenheit vor Christus hingehen, dass sich dann auch etwas von dem Evangelium erfüllt: ‚Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir: Ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.‘
Ich wünsche Ihnen sehr, liebe Schwestern und Brüder, für die Ferien, die vor uns liegen, dass wir etwas erspüren dürfen aus dem Glauben, dass das Tun dem Sein folgt und nicht umgekehrt.
Gott segne Sie.
Dr. Stefan Oster SDB
Bischof