Zerbrechlicher Schatz

Redaktion am 13.05.2024

2024 05 13 pb alb demokratie Foto: Wolfgang Krinninger
Bei einer Demonstration für die Demokratie in Hauzenberg halten Kinder ein Plakat.

Am 23. Mai wird das deutsche Grundgesetz 75 Jahre alt und erst vor kurzem war das Gedenken an den Tag der Befreiung am 8. Mai 1945. Zwei wichtige Tage für die Demokratie in Deutschland, für einen „kostbaren Schatz“, den es zu erhalten gilt, wie der Autor im Editorial der aktuellen Ausgabe Nr. 21-2024 schreibt.

Das Ver­ges­sen­wol­len ver­län­gert das Exil, und das Geheim­nis der Erlö­sung heißt Erin­ne­rung.“ Der dama­li­ge Bun­des­prä­si­dent Richard von Weiz­sä­cker ver­wen­de­te die­ses jüdi­sche Sprich­wort am 8. Mai 1985 in sei­ner Rede zum Ende des Zwei­ten Welt­kriegs. Es war toten­still im Bun­des­tag, als von Weiz­sä­cker die­se Wor­te sprach. Doch danach setz­te ein media­ler Tsu­na­mi ein. Das Manu­skript der Rede ver­brei­te­te sich ganz ohne Inter­net bin­nen weni­ger Wochen welt­weit Mil­lio­nen Male. Und nicht nur der dama­li­ge israe­li­sche Bot­schaf­ter Jitz­hak Ben-Ari, damals Gast auf der Zuschau­er­tri­bü­ne, sprach von einer Stern­stun­de der Bundesrepublik“. 

Was bei mir damals ein für alle mal hän­gen­blieb, war der viel dis­ku­tier­te Kern der Rede: Wir alle, ob schul­dig oder nicht, ob alt oder jung, müs­sen die Ver­gan­gen­heit anneh­men. Wir alle sind von den Fol­gen betrof­fen und für sie in Haf­tung genom­men.“ Der Wahr­heit ins Auge sehen und die Ver­gan­gen­heit ohne Beschö­ni­gung anneh­men – das ist für mich eine Art patrio­ti­sches Mani­fest: Wer die­ses Land mit all sei­nen Errun­gen­schaf­ten liebt, kann dahin­ter nicht zurück. Nie­mand von uns Nach­ge­bo­re­nen kann etwas dafür, dass die Nazis die Welt im Blut ertränk­ten, aber jeder von uns ist mit­ver­ant­wort­lich, dass so etwas nie wie­der passiert.

Der 8. Mai, Jahr­tag der bedin­gungs­lo­sen Kapi­tu­la­ti­on der deut­schen Wehr­macht, der Tag der Befrei­ung, war heu­er in Hau­zen­berg mit einer bun­ten Demons­tra­ti­on für Demo­kra­tie und Viel­falt ver­bun­den. Unter den Initia­to­ren waren auch eini­ge kirch­li­che Grup­pen. Rund 500 Men­schen jeden Alters ver­sam­mel­ten sich schließ­lich am Mari­en­brun­nen im Zen­trum der Klein­stadt. Frau­en und Män­ner nah­men sich Zeit. Sie zeig­ten sich. Wie in vie­len ande­ren Städ­ten in den ver­gan­ge­nen Wochen mach­ten sie deut­lich: Ich geh‘ da mit, weil es auch um mei­ne Frei­heit und die mei­ner Kin­der geht! Die­se Leu­te wol­len nicht län­ger zuschau­en, wie die Fein­de der Demo­kra­tie das zer­stö­ren, was unse­re Eltern aus dem Schutt der Ver­gan­gen­heit auf­ge­baut haben. Es graust ihnen, wenn sie sehen, dass vor allem auch vie­le Jugend­li­che für die Het­ze der AfD emp­fäng­lich sind. Und die Vor­stel­lung, dass die­se zer­stö­re­ri­sche Par­tei im Herbst in drei Bun­des­län­dern stärks­te Kraft wer­den könn­te, macht immer mehr Men­schen klar: Unser Nie wie­der!“ ist jetzt gefordert.

2024 05 13 pb alb demokratie2 Foto: Wolfgang Krinninger
Rund 500 Menschen jeden Alters versammelten sich am 8. Mai in Hauzenberg zu einer bunten Demonstration für Demokratie und Vielfalt.

Der nächs­te Gedenk­tag ist nah: Am 23. Mai 1949, vor genau 75 Jah­ren, trat das Grund­ge­setz in Kraft. Das gro­ße Geset­zes­werk mar­kiert eben­falls eine Stern­stun­de der Bun­des­re­pu­blik. Sei­ne Grund- und Men­schen­rechts-Prin­zi­pi­en wur­den als Vor­bild in vie­len ande­ren rechts­staat­li­chen Demo­kra­tien über­nom­men, bei­spiels­wei­se in Spa­ni­en, Süd­ko­rea und Süd­afri­ka. Auch das nährt den Stolz auf die­ses Land – und die Ver­ant­wor­tung. Der frü­he­re Bun­des­ver­fas­sungs­rich­ter Ernst-Wolf­gang Böcken­för­de brach­te es auf den Punkt: Kei­ne Ver­fas­sung kann ihre eige­nen Vor­aus­set­zun­gen garan­tie­ren. Demo­kra­tie, Frei­heit und Men­schen­rech­te müs­sen jeden Tag aufs Neue erstrit­ten und ver­tei­digt wer­den. Ja, Demo­kra­tie ist anstren­gend, manch­mal trä­ge und ner­vig. Und sie ist zer­brech­lich. Ein kost­ba­rer Schatz, den zu hüten jeden Auf­wand wert ist.

Wolfgang krinninger

Wolfgang Krinninger

Chefredakteur

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