Die Deutsche Bischofskonferenz hat eine Arbeitshilfe zur Zukunft von Wallfahrtsorten vorgelegt mit der Empfehlung, sich auf eine verändernde Pilgerschaft in einer säkularisierten Welt einzustellen. In einer ersten Einschätzung äußern sich der Wallfahrtsrektor Altöttings, Prälat Klaus Metzl und sein Stellvertreter, Kapuzinerbruder Marinus Parzinger zu dem Papier.
„Pilger der Hoffnung“ ist das Motto des Heiligen Jahres 2025, das Papst Franziskus an Heiligabend eröffnet hat. Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für das Großereignis, Weihbischof Rolf Lohmann (Münster), sieht darin eine große Chance für die Kirche weltweit und bei uns in Deutschland zum Aufbruch, zur Umkehr und zur Erneuerung. Er zeigt sich überzeugt: „Wallfahrtsorte können zu Experimentierfeldern, zu Laboratorien der Pastoral und zu Erprobungsräumen für eine zukünftige Kirche werden.“ An ihnen könne die Kirche Umbrüche, Aufbrüche und die Transformation von volkskirchlich geprägten Orten zu Orten der Erstbegegnung und Erstverkündigung erproben und einüben. Aufgrund externer und binnenkirchlicher Faktoren seien Wallfahrtsorte allerdings einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt und müssten ihre Pastoralkonzepte kritisch in den Blick nehmen sowie ihr Image und ihre spezifischen Angebote überprüfen.
Für den Altöttinger Wallfahrtsrektor Klaus Metzl bietet die Arbeitshilfe „einen ersten Überblick über die Vielfalt an pastoralen Möglichkeiten, die Wallfahrtsorte für die Verkündigung der frohen Botschaft leisten können, wenn sie personell und strukturell entsprechend ausgestattet werden.“ Für den Stellvertreter Metzls, Br. Marinus Parzinger, treffe der Inhalt des Papiers die Situation gut, rege zum Weiterdenken und Handeln an und spare auch Spannungsfelder nicht aus. Sein Fazit: „Es braucht den Blick über den Tellerrand und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Gefragt sind eher Menschen, die Vertrauen wecken, als Strukturen und Institutionen.“ Denn letztlich seien es gute Erfahrungen, die Wallfahrer motivierten und sie wiederkommen ließen. Gefragt nach der starken Ausrichtung der Arbeitshilfe auf die Besucher der Wallfahrtsorte in all ihrer Vielfalt, sagt Wallfahrtsrektor Metzl: „Pluralisierung und Individualisierung sind zwei gesamtgesellschaftliche Phänomene, mit denen auch wir als Verantwortliche in der Wallfahrts-Seelsorge konfrontiert werden. Diese Realitäten anzunehmen und darauf entsprechende Angebote zu finden, ist ein Gebot der Stunde und bleibende Herausforderung. Der Spagat, den es auszuhalten und zu gestalten gilt heißt: Überkommenen Traditionen mit Respekt zu begegnen und neue pastorale Formate qualitätsvoll zu wagen!“
Die Vielfalt der Motivation und Interessen von Pilgern und Besuchern an einem Wallfahrtsort sei Faktum, pflichtet ihm Br. Marinus bei. Das führe allerdings in eine gewisse Spannung, wenn man darauf angemessen antworten wolle. Manchmal seien auch die Erwartungen der Menschen wenig konkret. Da könne ein klares Angebot hilfreich sein: „Es braucht schon Profil. Gerade die Einbettung und Rückbindung in die Geschichte der Wallfahrt und eine religiöse Praxis erden.“ Menschen begegneten einander, würden bereichert durch die Erfahrung und Sichtweise anderer. „Und sie ahnen den tragenden Grund, Gott als Geheimnis unseres Lebens“, so der Kapuzinerpater.
In dem DBK-Papier wünscht sich die Tourismusdirektorin von Altötting, Ulrike Kirnich, niederschwellige Angebote von der Kirche und die Kooperation mit touristischen Anbietern. Darauf angesprochen räumt Br. Marinus ein: „Die Ausdrucksformen des Glaubens sind einer wachsenden Zahl von Menschen immer weniger bekannt. Daher müssen Rituale erschlossen werden. Neben der Pflege von Traditionen halte ich niederschwellige Angebote für notwendig. Dazu gehört eine zeitgemäße Sprache, eine ansprechende Liturgie, in der das Leben der Menschen vorkommt. Menschen sind emotional ansprechbar, wollen Erfahrungen machen. Zu abstrakte oder lebensferne Inhalte erschweren den Zugang. Niederschwellig verstehe ich als den Menschen zugewandt, gut gestaltet, auf keinen Fall billig oder anbiedernd.“ Ein spirituelles Angebot, das Menschen auf ihrer Suche begleite brauche Tiefe und Weite: „Man muss etwas bieten und darf auch etwas erwarten.“ Bei allem gesellschaftlichen Anpassungs- oder Veränderungsdruck leitet Wallfahrtsrektor Klaus Metzl in erster Linie das Prinzip der Qualität vor der Quantität. Das gelte allem voran für die Feiergestalt der Gottesdienste, das Beicht-Angebot, die Predigten, die Kirchenmusik, die Ministranten-Arbeit, und vieles andere mehr. Viele Wallfahrer kämen gerade mit diesem hohen Anspruch nach Altötting. „Sie sollen vom Gnadenort Altötting bestärkt heimkehren können“, wünscht sich Metzl.
Wenn die Autoren des DBK-Papiers anregen, dass die Pilger- und Wallfahrtsseelsorge sich zukünftig als eine spezialisierte „Spiritual Care“ (= das Kümmern und spirituelle Bedürfnisse“) nach innen wie außen positionieren könnten, könne er diese These nur unterstreichen, weist aber nochmals auf eine entsprechende personelle und strukturelle Ausstattung vor Ort hin. Für den stellvertretenden Wallfahrtsrektor von Altötting, Br. Marinus, ist Wallfahrt „eine ganzheitliche religiöse Praxis“. Der Titel „Spiritual Care“ könne durchaus anregend sein, verbinde er doch verschiedene Lebensfelder wie Medizin, Psychologie und Spiritualität. Auch er weist jedoch auf die Ressourcen hin: „Dazu braucht es Wegbegleiter und Gesprächspartner“.
Gefragt danach, ob das Papier mit seiner Forderung nach Freiraum für Wallfahrtsorte deren Position innerhalb von Diözesanstrukturen stärken könne, antwortet Wallfahrtsrektor Metzl: „Wenn das Potential der Wallfahrtsorte und der Wallfahrts-Seelsorge von den Verantwortungsträgern erkannt wird, dann sollte es so sein. Bleibt also zu hoffen, dass diese Arbeitshilfe gründlich gelesen und entsprechende Konsequenzen gezogen werden.“ Für Stellvertreter Marinus Parzinger ist zurzeit noch offen, „wie sich das Zusammenspiel von spirituellen Zentren bzw. Leuchttürmen, wie man Wallfahrtsorte oft auch betitelt, und der flächendeckenden Seelsorge in Pfarreien entwickeln wird“. Die Suchbewegungen der Menschen würden vielfältiger, die kirchlichen Ressourcen kleiner. Es müsse entschieden werden, wohin die Kräfte gelenkt werden; die Perspektiven und Handlungsoptionen bräuchten Entscheidungen. Denn: „Die besten Ideen bleiben unwirksam, wenn niemand sie sich zu eigen macht.“
Wolfgang Terhörst
Redaktionsleiter